Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
den das Orchester aber ablehnte. Die Musiker interpretierten Beethovens Einmischung – nicht einmal ganz zu Unrecht – auch als Ausdruck des Misstrauens gegen sie selbst und sabotierten die Aufführung auf subtile Weise. Besonders beim Klavierkonzert, bei dem die Qualität des Zusammenspiels mit dem Solisten in hohem Maße von der Konzentration und Flexibilität des Orchesters abhängt, war dies deutlich zu spüren. Man gab sich wenig Mühe, Beethovens diffizilem Rubato zu folgen, so dass er und das Orchester oft nicht mehr zusammenspielten. Kritiker bemängelten außerdem, dass die Orchestermusiker in der Sinfonie immer bequemer wurden; in ihrem Spiel sei «kein Feuer mehr» gewesen.[ 119 ] Beethoven war wütend, vermutlich liegen hier die Anfänge seiner lebenslangen Orchestermusiker-Paranoia. Ganz unschuldig war er aber nicht an dem Konflikt: Sein Perfektionismus hatte ihm – nicht zum letzten Mal – mehr geschadet als genützt.
Die Unzufriedenheit mit der Ausführung des Klavierkonzerts war jedoch nichts gegen das Unbehagen, das die 1. Sinfonie erweckt hatte. Sie begann mit dissonanten, scheinbar auch tonartfremden und deshalb verwirrenden Bläserakkorden, begleitet von eigenartigen Pizzicati der Streicher. So etwas war im doppelten Sinne unerhört! Den Kritikern behagte auch die Rolle der Blasinstrumente in diesem Werk nicht ganz, weil Beethoven sie systematisch gerade zur Betonung der Höhe- und Wendepunkte einsetzte. In der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung war zu lesen: «nur waren die Blasinstrumente gar zu viel angewendet, so daß sie mehr Harmonie, als ganze Orchestermusik war».[ 120 ]
Es gab aber noch mehr Gewöhnungsbedürftiges. Beethoven setzte neue Maßstäbe bei Tempi und Geschwindigkeit. Schon rein objektiv betrachtet – das heißt, was den Grundschlag und die Kürze der kleinsten Notenwerte angeht – ist seine 1. Sinfonie unvergleichlich viel «schneller» als ähnliche Werke Haydns und vor allem Mozarts. Die Tempi haben es in sich, bei jedem Satz ist die Tempobezeichnung um ein con brio, con moto oder molto e vivace ergänzt. Besonders das Menuett ist so schnell, dass jede Erinnerung an den galanten aristokratischen Tanz ausgelöscht ist; trotz der alten Bezeichnung handelt es sich schon um ein vollwertiges Scherzo. Aber vor allem subjektiv ist die Musik schneller und unruhiger: Die musikalischen Gedanken wechseln sich rasch ab, die Crescendi sind kurz und impulsiv, die vielen Akzente und Sforzati geben dem Ganzen etwas ungewohnt Nervöses. Es ist, als habe Beethoven am Beginn des neuen Jahrhunderts (und am Vorabend der industriellen Revolution) schon die Ahnung ausgedrückt, dass der moderne Mensch dazu verurteilt sein würde, schneller zu leben und zu denken.
Das Publikum muss so etwas gespürt haben. Der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung nannte das Konzert trotz der Extravaganzen der Sinfonie «wahrscheinlich die interessanteste Akademie seit langer Zeit».[ 121 ]
Nach seiner großen Akademie wollte Beethoven eigentlich an den Streichquartetten weiterarbeiten, musste aber zunächst noch eine andere Arbeit erledigen. Er hatte nämlich dem berühmten Hornisten Giovanni Punto alias Johann Wenzel Stich eine Sonate versprochen, die beide zusammen bei Puntos Akademie am 18. April 1800 im Hoftheater aufführen wollten. Punto war nicht nur musikalisch ein Phänomen. Der gebürtige Böhme hatte seine Ausbildung in Dresden vollendet, im 18. Jahrhundert das Mekka der Hornisten. Sein weiteres Leben hat Züge eines Schelmenromans. Zuerst musste der (noch leibeigene!) Musiker im Westernstil aus Böhmen fliehen; er arbeitete dann unter seinem Pseudonym, der italianisierten Form seines Namens, in zahlreichen europäischen Ländern. In Paris, wo er auf der Seite der Revolution stand, leitete er ein Varietéorchester; im Jahr 1800 verschlug es ihn schließlich nach Wien. Wohin er auch kam, überall erregte er Aufsehen durch die besonders virtuose Beherrschung der sogenannten Stopftechnik: Der Hornist führt die rechte Hand auf unterschiedliche Weise in den Schalltrichter ein, um die Naturtonreihe so zu erweitern, dass im oberen Bereich des Umfangs ein chromatisches Spiel möglich ist. Punto konnte einfach alles spielen, und Beethoven hat bei der Komposition seiner Hornsonate op. 17 alle Möglichkeiten auf brillante Weise genutzt. Er verlieh dem typischen Naturhornspiel eine neue musikalische Dimension: Er «färbte» melodische Linien durch chromatische Schritte und
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