Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
geschiedener – Frau, was sie vermutlich die Hauptrolle im Prometheus-Ballett kostete: Wenn man dem Wiener Klatsch glauben darf, hatte hier die Kaiserin ihre Hand im Spiel. Das Interesse an dem Ballett nahm dadurch eher noch zu.
Viganò hatte auch eine eigenwillige Methode der Choreographie. Sein glühender Anhänger Stendhal berichtete, dass Viganò selten mit einem fertigen Ballett-Libretto arbeitete, sondern – wie manche heutigen Theaterregisseure und Choreographen – von einem vagen Konzept ausging, das er dann im Dialog mit den Tänzern experimentierend weiterentwickelte. Es ist also nicht auszuschließen, dass die Schwierigkeiten in der Endphase, die dann vielleicht zur Verschiebung führten, Viganòs anarchistischer Arbeitsweise zuzuschreiben waren. Auch die wenigen erhaltenen Partiturskizzen zeigen nämlich, dass Beethoven selbst ohne klar umrissenen Handlungsplan an die Arbeit ging: Die Textnotizen in drei Sprachen sind sehr unterschiedlich, teilweise höchst detailliert, teilweise auf ein paar Stichworte beschränkt.
Das Fehlen eines fertigen Librettos erschwert die Rekonstruktion des Balletts. Wir können uns nur auf die knappe Zusammenfassung stützen, die auf dem Theaterzettel und in den Untertiteln von Beethovens Partitur gegeben wird.[ 125 ] Daraus geht hervor, dass Viganòs Ballett mit den Ursprüngen der Prometheus-Geschichte kaum noch etwas zu tun hatte, und auch nicht mit dem «Sturm und Drang» von Goethes berühmtem Gedicht. Vielmehr hatte sich Viganò dafür entschieden, den klassischen Prometheus-Mythos mit den Erzählungen von Apoll und den Musen und von der Macht der Musik und des Tanzes über die Menschen zu verschmelzen. Zur großen Freude des adligen Publikums der Jahrhundertwende wurde Prometheus nicht mehr als revoltierender, den Göttern das Feuer stehlender Menschenbefreier dargestellt – Feuerraub und göttlicher Zorn gehören eher zur Vorgeschichte –, sondern als Künstler: Er schafft aus Ton einen Mann und eine Frau und schenkt ihnen mit dem geraubten Feuer das physische Leben. Als er feststellen muss, dass er weder Gefühl noch Vernunft in ihnen erwecken kann, schleift er sie zum Parnass, wo die Musen sie in Künste und Wissenschaften einweihen sollen. Den Anfang machen Euterpe und Terpsichore, dann treten Bacchus und seine Trabanten – die dort eigentlich nichts zu suchen haben – mit dem unvermeidlichen kriegerischen Tanz auf, schließlich stellen Melpomene, Thalia und Pan – auch er ein Fremder auf dem Parnass – Tod und Wiederauferstehung von Prometheus dar. So werden seine Geschöpfe zu wahren Menschen herangebildet, die für ihren Schöpfer Liebe und Dankbarkeit empfinden können.
Die starke Abweichung von der überlieferten Erzählung hatte Konsequenzen für den Titel – die Betonung lag auf den Geschöpfen, nicht auf Prometheus selbst – und für die Gewichtung der Rollen – Choreograph und Meistertänzer Viganò stellte nicht den Schöpfer, sondern den neu geschaffenen Mann dar –, vor allem aber für die Anlage des ganzen zweiten Teils. Weil das Ballett mit einem großen Loblied auf die Macht des Tanzes und der Musik enden sollte, entwickelte es sich allmählich vom hochdramatischen ballet d’action zum Divertissement in Viganòs neuestem Stil.[ 126 ] Dieses hybride Konzept sollte sich noch als höchst problematisch erweisen.
Zumindest in den Eröffnungssätzen hat sich Beethoven großzügig aus dem Arsenal der Theatermusik-Klischees des späten 18. Jahrhunderts bedient. Außerdem wechselte er geschickt zwischen sehr expressiven und neutral-erzählerischen Momenten und vertonte mit besonderem Vergnügen wilde Szenen wie das Unwetter bei Prometheus’ erstem Auftritt, sein Wüten gegen die gefühllosen Geschöpfe, die aufwändige Kriegsszene und den tragischen Mord an Prometheus. Der Sturm klingt tatsächlich wie eine Vorstudie zur 6. Sinfonie: Wind, der zum Orkan anschwillt, Donner und Blitz und wiederkehrende Ruhe, am Ende ein Regenbogen am klaren Himmel – all diese Vorstellungen werden mit den gleichen klanglichen Mitteln erweckt wie in der Pastorale. Weil aber Viganòs Prometheus-Geschichte nicht zuletzt von der läuternden und beseelenden Kraft der Musik handelt, musste Beethoven auch melodisch und klanglich besonders Ansprechendes komponieren: Beim Auftritt Euterpes erklingt ein wundervoller Violoncellogesang, begleitet von der Harfe, die für Apolls Lyra steht; als Prometheus seine Geschöpfe auffordert, ihn zum Parnass zu begleiten, hört man
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