Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
zärtliche Klänge von außergewöhnlicher Lieblichkeit. Hin und wieder entfaltet sich eine leise Komik: Zu den ersten Schritten der gerade zum Leben erweckten Menschen erklingt ein hölzern und unkoordiniert wirkendes Stakkatomotiv in den Streichern; man glaubt wirklich, ein tölpelhaftes Herumstolpern zu hören.
Leider wird die Musik zum Ende hin ein wenig kraftlos; Beethoven musste sich damit begnügen, eine lange Folge – nicht einmal zusammenhängender – Tänze zu komponieren, damit die Solisten die Gelegenheit zu ihrer jeweiligen Ode an die Kunst erhielten. Bemerkenswert ist, dass Beethoven das Finale für eine Art politischer Positionsbestimmung nutzt. Für den festlichen Schlusstanz, den alle Protagonisten einschließlich Prometheus zusammen aufführen, wählte er eine Folge von Kontretänzen, von denen einer als Refrain wiederkehrt. Das hatte etwas zu bedeuten. Der Kontretanz (auch Kontertanz, Kontratanz, Contretanz, Contredance) war die kontinentale Variante des englischen Country dance, der um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert als «demokratischer» Tanz galt, weil er der einzige war, den Herren und Knechte zusammen tanzen konnten – ein Symbol für die neue Gesellschaftsordnung, deren Entstehen in der Luft lag. Beethovens Entscheidung, sein Prometheus-Ballett mit einer Reihe von Kontretänzen zu beschließen, bei denen Götter und Menschen zusammen und auf gleichem Fuß tanzten, war damals also ideologisch von einiger Tragweite.
Beethoven schätzte das Refrainthema sehr. Er sollte es noch dreimal verwenden: in den Contretänzen (WoO 14), den Eroica- Variationen (15 Variationen mit einer Fuge für Klavier in Es-Dur op. 35) und in der 3. Sinfonie op. 55 (Eroica) selbst. Das Auftauchen dieses Themas als Hauptgedanke im Finalsatz der Eroica hat manche Musikwissenschaftler dazu verleitet, die 3. Sinfonie als Fortsetzung des Prometheus-Balletts zu sehen und den vermeintlichen «Helden» der Eroica – ob Napoleon oder eine andere Person – mit Prometheus gleichzusetzen. Diese Hypothese wird jedoch durch keine einzige Quelle aus dem frühen 19. Jahrhundert gestützt.
DRITTER TEIL
Der Herrscher
(1802 – 1809)
5
Opernstunden bei Salieri
Beethoven wagte sich nicht unvorbereitet an die Gattung Oratorium heran. In seinen ersten Wiener Jahren hatte er sehr deutlich gesehen, dass seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Vokalmusik nicht für größere Werke ausreichten. Wenn er sich überhaupt einmal auf dieses Terrain begeben hatte, beispielsweise mit den Kaiserkantaten, war er intuitiv vorgegangen. Große Opern und Oratorien erfordern aber spezielle Kompetenzen. Da er in seiner Bonner Zeit lange in einem Opernorchester gespielt hatte, wusste er, dass ein Opernhaus eine Schlangengrube ist, in der man mit der Versuch-und-Irrtum-Methode kaum überleben kann. Deshalb fasste er im Jahr 1798 den Entschluss, sich von keinem Geringeren als Hofkapellmeister Antonio Salieri in der Komposition von Opern unterrichten zu lassen.[ 51 ]
Die Entscheidung für Salieri ist leicht nachzuvollziehen. Er gehörte immer noch zu den angesehensten Komponisten Wiens, wenn auch sein Stern damals im Sinken war. Joseph II. hatte ihn bis zuletzt protegiert; das Verhältnis der beiden war so freundschaftlich gewesen, wie es zwischen einem Kaiser und seinem Hofkapellmeister überhaupt nur sein konnte. In der letzten Zeit hatte sein Einfluss in der Hofoper nachgelassen, doch als Vizepräsident und Hausdirigent der Tonkünstler-Sozietät gehörte er nach wie vor zu jenem kleinen Kreis von Prominenten, die bestimmen konnten, woher in Wien der musikalische Wind wehte. Vor allem aber kannte er alle Kniffe des Opernfachs: Er war bei dem Meisterlibrettisten Metastasio und dem Opernreformer Gluck in die Lehre gegangen, hatte mit Theaterroutiniers wie Da Ponte und Beaumarchais zusammengearbeitet und in Wien, Paris, Mailand, Venedig und Rom als Komponist Triumphe gefeiert. Zwar musste er auch eine beachtliche Reihe von Fiaskos erleben; aus den katastrophalen Misserfolgen einiger seiner Opern hatte er aber auch unschätzbar viel über die Fallstricke dieser Gattung gelernt.
Salieri steht zu Unrecht in dem Ruf, ein Schurke und Ellenbogenmensch gewesen zu sein. Schuld daran sind vor allem die meist stark übertriebenen Geschichten über seinen Konflikt mit Mozart. In Wirklichkeit war Salieri ein sehr liebenswürdiger Mensch. Nach dem frühen Tod seiner Eltern hatte er von dem Wiener Hofkapellmeister Florian Gassmann jahrelang Unterricht samt
Weitere Kostenlose Bücher