Befehl von oben
Bild, zunächst, wie sie ihre Desktop-Monitore und dann einander anstarrten, und erst jetzt begann ihnen die ganze Tragweite der Katastrophe aufzugehen wie dem neuen Präsidenten.
»Präsident Ryans vornehmlichste Aufgabe wird es sein, die Regierung neu aufzubauen, wenn er das schafft«, sagte John, der Kommentator, nach einer langen Pause.
»Mein Gott, so viele hervorragende Männer und Frauen … tot …« Ihm war gerade in den Sinn gekommen, daß er noch vor ein paar Jahren, bevor er Chefkommentator des Senders geworden war, ebenfalls im Plenarsaal gewesen wäre, zusammen mit so vielen seiner Berufskollegen und Freunde; seine Hände begannen unter der Tischplatte zu zittern. Ein erfahrener Profi wie er, der seiner Stimme nicht erlaubte zu beben, vermochte er doch nicht ganz, die Kontrolle über seinen Gesichtsausdruck zu behalten, der plötzlich entsetzliche Trauer zeigte.
*
»Gottes Urteil«, murmelte Mahmoud Haji Daryaei über sechstausend Meilen entfernt vor sich hin, griff zur Fernbedienung und stellte den Ton ab, um das unnütze Geschwafel auszublenden.
Strafe Gottes. Das ergab doch Sinn? Amerika. Der Koloß, der so vielen einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, gottloses Land eines gottlosen Volkes, am Gipfel seiner Macht, Sieger eines neuerlichen Waffenganges – jetzt schmerzlich getroffen. Wie, außer durch Gottes Wille, hätte so etwas geschehen können? Und was sonst könnte es bedeuten als Gottes Strafe und Gottes Segen? Segen, mit welchem Ziel? fragte er sich. Nun, das würde sich wohl nach einiger Überlegung erweisen.
Ryan war er schon einmal begegnet, hatte ihn als nachtragend und arrogant empfunden – typisch amerikanisch –, jetzt aber nicht. Für einen Augenblick zoomten die Kameras ihr Objekt näher heran und zeigten einen Mann in Feuerwehrmontur, der seinen Kopf nach links und rechts drehte, den Mund etwas geöffnet. Nein, arrogant nicht. Fassungslos, sich nicht einmal gewahr genug, um ängstlich zu sein. Das war ein Gesichtsausdruck, den er schon öfter gesehen hatte. Wie interessant.
Dieselben Worte und dieselben Bilder überfluteten jetzt die Welt, übertragen von Satelliten zu über einer Milliarde Augenpaare, die gerade die Nachrichtensendung gesehen oder vom Vorfall gehört hatten. Es wurde Geschichte geschrieben, und das mußte man verfolgen.
Insbesondere traf das für die Mächtigen zu, für die Information der Rohstoff ihrer Macht war. An einem anderen Ort schaute einer auf die elektronische Uhr, die neben seinem Fernseher stand, und beschäftigte sich mit einfacher Arithmetik. In Amerika ging ein schrecklicher Tag zu Ende, während der Morgen, dort wo er saß, gerade angebrochen war.
Durchs Fenster hinter seinem Schreibtisch sah man auf einen riesigen Platz, den Menschen überquerten, die hauptsächlich mit dem Fahrrad unterwegs waren, obgleich die Anzahl der Autos jetzt auch schon beträchtlich war – hatte sie sich doch in den letzten Jahren verzehnfacht.
Dennoch war das Fahrrad immer noch das Hauptverkehrsmittel, und das war nicht fair, oder?
Er hatte sich einst vorgenommen, das zu ändern, rasch und entschlossen, und die Amerikaner hatten sein Vorhaben im Keim erstickt. An Gott glaubte er nicht, hatte es nie getan und würde es nie tun. Aber er glaubte an das Schicksal, und Schicksal war es, was sich da vor seinen Augen ereignete, auf dem Bildschirm eines in Japan hergestellten Fernsehapparates. Das Schicksal war ein launenhaftes Weib, sagte er sich, während er nach einer Schale grünen Tees griff. Erst vor wenigen Tagen hatte sie die Amerikaner mit Glück begünstigt und jetzt das … Was mochte die Dame Schicksal wohl vorhaben? Doch seine eigenen Intentionen, seine Bedürfnisse und sein Wille gingen vor, entschied er und griff fast nach dem Telefon, bis er sich eines Besseren besann. Es würde schon zeitig genug klingeln, und dann würden andere nach seiner Meinung fragen, und er würde etwas antworten müssen, und darum war es Zeit, weiter nachzudenken. Er nippte an seinem Tee. Das heiße Wasser brannte an seinen Lippen, und das war gut. Er mußte hellwach sein, und der Schmerz lenkte sein Denken nach innen, wo wichtige Gedanken stets ihren Ursprung hatten.
Erfolgreich oder nicht, sein Plan war nicht schlecht gewesen. Mangelhaft ausgeführt durch unwissende Agenten, hauptsächlich weil die Dame Schicksal einen Augenblick lang Amerika begünstigt hatte – aber es war ein guter Plan gewesen, sagte er sich noch einmal. Und das zu beweisen, würde
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