Befehl von oben
davon erfüllt war.
Die Tasse Kaffee, bittersüß und stark, wartete auf dem ungedeckten Holztisch. Man begrüßte sich, setzte sich, und die Unterhaltung begann.
»Es ist ziemlich spät.«
»Mein Flug hatte Verspätung«, erklärte sein Gastgeber. »Wir benötigen Ihre Dienste.«
»Wofür?«
»Man könnte es Diplomatie nennen«, war die überraschende Antwort.
»Zehn Minuten«, hörte der Präsident.
Mehr Make-up. Es war 20.20 Uhr. Ryan saß bereits. Mary Abbot legte letzte Hand an sein Haar und verstärkte nur das Gefühl, Ryan sei Schauspieler statt … Politiker? Nein, das nicht. Er weigerte sich, das Etikett anzunehmen, egal, was Arnie oder andere sagen mochten. Durch die offene Tür zur Rechten sah er Callie Weston am Schreibtisch einer Sekretärin stehen. Sie lächelte und nickte ihm zu, um ihr eigenes Unbehagen zu maskieren. Sie hatte ein Meisterwerk – das Gefühl hatte sie immer – geschrieben, und jetzt würde es ein blutiger Anfänger vortragen. Mrs. Abbot ging um den Schreibtisch herum nach vorn, verdeckte dabei ein paar Scheinwerfer, sah nun ihr Werk aus der Zuschauerperspektive an und fand es gut. Ryan saß einfach da und versuchte, nicht nervös zu werden. Er wußte, daß er unter dem Make-up bald schwitzen und daß es dann höllisch jucken würde, er sich aber keinesfalls kratzen durfte, weil Präsidenten sich nicht juckten oder kratzten. Womöglich gab es Leute da draußen, die glaubten, daß Präsidenten nicht aufs Klo gingen oder sich nicht rasierten oder gar die Schuhe zubanden.
»Fünf Minuten, Sir. Mikro-Probe.«
»Eins, zwei, drei, vier, fünf«, sagte Ryan gehorsam.
»Danke, Mr. President«, rief der Regisseur aus dem Nebenraum.
Manchmal dachte Ryan über diese Sachen nach. Präsidenten, die offizielle Erklärungen abgaben – eine Tradition, die zurückging bis zu Franklin D. Roosevelt und seine ›Plaudereien am Kamin‹, die ihm erstmals seine Mutter beschrieb –, erschienen stets selbstsicher und gelassen, und er hatte sich immer gefragt, wie sie den Eindruck wohl schafften. Er fühlte sich weder noch. Ein weitere Schicht Anspannung für ihn.
Die Kameras liefen wohl schon, damit die Aufnahmeleiter sicher waren, ob sie funktionierten, und irgendwo lief eine Bandmaschine mit und nahm den Ausdruck seines Gesichtes auf und die Art, wie seine Hände an den Papieren vor ihm rumspielten. Er fragte sich, ob der Secret Service das Band unter Kontrolle hatte oder ob sie den TV-Leuten vertrauten, bei so was ehrlich zu sein … Gewiß: Deren Moderatoren stießen auch mal eine Kaffeetasse um oder schnauzten einen Assistenten an, weil er was vermasselte, wo man gerade auf Sendung ging … oh, ja, diese Szenen wurden doch Blooper genannt, nicht wahr …? Und er hätte gewettet, auf der Stelle, gleich jetzt, daß der Secret Service ein langes Band solcher präsidialen Fehlleistungen hatte.
»Zwei Minuten.«
Beide Kameras trugen Teleprompter. Eigentlich ein Monitor, der vor der Kamera hing, Bildschirm nach oben. Auf diesem lief der Redetext seitenverkehrt ab, denn gleich drüber war ein schräger Spiegel. Die Kamera stand dahinter und filmte hindurch, während der Präsident dort den Text seiner Rede reflektiert sah. Es schien irgendwie außerweltlich, in eine Kamera, die man nicht sah, zu Millionen Menschen zu sprechen, die nicht dort waren. Eigentlich würde er zu seiner eigenen Rede sprechen. Ryan schüttelte den Kopf, als der Redetext durchraste, um das Scroll-System zu prüfen.
»Eine Minute. Bereithalten.«
Okay. Ryan rückte sich auf dem Sitz zurecht. Er machte sich Sorgen um die Haltung. Arme auf den Schreibtisch pflanzen? Hände in den Schoß legen? Er hatte Anweisung, sich nicht hinten anzulehnen, das sehe zu lässig und zu arrogant aus, aber Ryan neigte dazu, in Bewegung zu bleiben. Wenn er still saß, tat ihm der Rücken weh – oder bildete er sich das nur ein? Ein bißchen spät dafür jetzt. Er spürte die Angst, die stechende Hitze im Magen. Er versuchte, aufzustoßen und unterdrückte es dann doch.
»Fünfzehn Sekunden.«
Aus der Angst wurde fast Panik. Er konnte nicht mehr weglaufen. Er mußte den Job tun. Dies war wichtig. Leute waren angewiesen auf ihn.
Hinter jeder Kamera war ein Kameramann. Drei Secret-Service-Agenten als Aufsicht. Ein Aufnahmeleiter auch noch. Seine einzigen Zuhörer, und die konnte er kaum ausmachen, hinter den grellen Lichtern verborgen, aber die würden ja sowieso nicht reagieren. Wie würde er wissen, was seine wirklichen Zuhörer
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