Befehl von oben
unterschätzen. Amerika ist wie ein schlafender Löwe, vorsichtig und mit Respekt zu behandeln.«
»Wie besiegt man einen schlafenden Löwen?«
Diese Frage überdachte Badrayn einige Augenblicke. Während eines Aufenthalts in Tansania – er beriet damals die Regierung in bezug auf den Umgang mit Rebellen – war er einmal mit einem Oberst vom Nachrichtendienst dieses Landes für einen Tag auf Safari gegangen. Dabei hatte er einen Löwen erblickt, einen alten, der dennoch allein ein Gnu gefangen hatte. Vielleicht war es verletzt gewesen. Dann kam ein Rudel von Hyänen in Sicht, und als er das sah, hielt der tansanische Oberst seinen sowjetischen SIL-Geländewagen an, reichte Ryan ein Fernglas und sagte ihm, er solle genau hinschauen, da könne er etwas über Rebellen und ihre Fähigkeiten lernen. Das hatte er nicht wieder vergessen.
Der Löwe, erinnerte er sich, war groß, vielleicht schon alt, vielleicht noch etwas abgekämpft von seiner Jagd, aber immer noch kräftig und furchterregend anzusehen, ein Geschöpf von unbestreitbarer Majestät. Die Hyänen waren kleinere, hundeartige Kreaturen mit einer abgehackten Gangart, einem seltsamen Galopp, der sehr effizient sein mußte. Zuerst sammelten sie sich in einer kleinen Gruppe, zwanzig Meter vom Löwen entfernt, der versuchte, von seiner Beute zu fressen. Und dann hatten sich die Hyänen in Bewegung gesetzt, hatten einen Kreis um den Löwen gebildet, und diejenige, die immer direkt hinter der mächtigen Katze war, schlich hin und kniff ihn ins Hinterteil, und der Löwe drehte sich um und brüllte und machte einen Satz auf die Hyäne zu, die aber rasch zurückwich – doch während das geschah, kam eine andere, wiederum von hinten, und kniff den Löwen erneut. Einzeln hätten die Hyänen keine größere Chance gegenüber diesem König der Steppe gehabt als ein Mann mit einem Messer gegenüber einem Soldaten mit einem Maschinengewehr, doch sosehr sich der Löwe auch bemühte, seine Beute vermochte er nicht zu schützen. Innerhalb von fünf Minuten war der Löwe in der Defensive, nicht einmal in der Lage, richtig zu rennen, denn es war ständig eine Hyäne hinter ihm und kniff ihn in die Hoden, was den Löwen zwang, auf eine äußerst komische Weise zu rennen, nämlich sein Hinterteil dabei gegen den Boden zu drücken. Und schließlich lief der Löwe auf und davon, ohne zu brüllen, ohne sich noch einmal umzudrehen, während die Hyänen sich an seiner Beute gütlich taten und in ihr seltsames lachendes Bellen ausbrachen, als fänden sie es amüsant, einem größeren Tier die Frucht seiner Arbeit weggenommen zu haben.
Und so war der Mächtige von den weniger Mächtigen bezwungen worden. Der Löwe würde älter werden und schwächer und eines Tages nicht mehr in der Lage sein, eine Hyänen-Attacke, die auf sein eigenes Fleisch abzielte, abzuwehren. Früher oder später, hatte ihm sein tansanischer Freund gesagt, bekamen die Hyänen sie alle. Badrayn achtete wiederum auf die Augen seines Gastgebers.
»Es ist zu schaffen.«
20
Neue Regierungen
Dreißig von ihnen befanden sich im East Room – alles Männer, zu seiner Überraschung – mit ihren Frauen. Als Jack eintrat, warf er einen Blick auf die Gesichter. Einige gefielen ihm. Andere nicht. Erstere hatten genausoviel Angst wie er. Es waren die selbstsicheren, lächelnden, die dem Präsidenten Sorgen machten.
Wie sollte er mit ihnen umgehen? Nicht mal Arnie wußte die Antwort, hatte aber verschiedene Ansätze durchgespielt. Sehr stark sein und sie einschüchtern? Gewiß, dachte Ryan, und morgen stünde dann in den Zeitungen, er versuche, König Jack I. zu sein. Es locker angehen? Man würde ihn einen Schwächling nennen, der seiner Führungsrolle nicht gerecht wurde. Ryan lernte die Medien fürchten. Vorher war es nicht so schlimm gewesen. Als Arbeitsbiene hatte man ihn völlig ignoriert. Jetzt aber war die Lage ganz anders, und jede einzelne seiner Aussagen könnte und würde der jeweilige Hörer zu dem verdrehen, was er selbst sagen wollte. Längst hatte Washington seine Fähigkeit zur Objektivität verloren. Alles war Politik, und Politik war Ideologie, und Ideologie basierte letzten Endes mehr auf persönlichen Voreingenommenheiten denn auf der Suche nach der Wahrheit.
Ryans Problem war, daß er tatsächlich keine politische Philosophie hatte. Er glaubte an Dinge, die funktionierten. Ob diese Dinge zu dieser oder jener politischen Richtung tendierten, war weniger wichtig als die erzielten Ergebnisse. Gute
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