Befehl von oben
würden es wenige je erfahren. Oder vielleicht auch nicht, dachte Jack. Das würde wohl durchsickern.
Undichte Stellen. Er hatte sie schon während seiner ganzen Laufbahn gehaßt. Aber nun gehörten sie zur Staatsführung, überlegte der Präsident. Doch was sollte er davon halten? Daß undichte Stellen in Ordnung waren, weil nun er derjenige war, der darüber entschied oder sie zuließ?
Verdammt. Gesetze und Grundsätze sollten doch nicht so funktionieren, oder? An was, an welchen Grundsatz oder Felsen sollte er sich halten?
*
Der Leibwächter hieß Saleh. Er war körperlich robust, wie es seine Arbeit verlangte, und versuchte, Krankheiten oder Beschwerden jeglicher Art zu leugnen. Ein Mann in seiner Position gab keine Unpäßlichkeiten zu. Doch als die Beschwerden nicht weggingen, wie er erwartet und wie der Arzt gemeint hatte, und als er das Blut in der Toilette gesehen hatte – das hatte den eigentlichen Ausschlag gegeben. Der Körper sollte kein Blut verlieren, außer beim Rasieren oder bei einer Schießerei. Auf jeden Fall nicht bei der Darmentleerung, und so ein Anzeichen erschüttert jeden Mann, um so mehr einen so kräftigen und sonst selbstsicheren.
Wie so viele zögerte er erst noch ein bißchen, redete sich ein, daß es ein vorübergehendes Problem war, daß die Beschwerden nach einem Höhepunkt nachlassen würden. Aber ihm ging es immer schlechter, und endlich siegte die Angst. Vor Tagesanbruch verließ er die Villa und fuhr mit dem Wagen zum Krankenhaus. Unterwegs mußte er das Auto anhalten, um zu kotzen. Er sah absichtlich nicht hin, was er auf die Straße gespuckt hatte, und fuhr gleich weiter. Sein Körper wurde jede Minute schwächer, bis der Gang vom Wagen zur Eingangstür ihm den letzten Rest Energie zu rauben schien. Er wartete im Raum, der hier als Notaufnahme diente. Ihm jagte der Geruch von Krankenhäusern Angst ein.
Schließlich rief eine schwarze Krankenschwester seinen Namen auf, und er erhob sich, nahm seine ganze Würde und Haltung zusammen und schritt in dasselbe Untersuchungszimmer, in dem er schon einmal gewesen war.
*
Die zweite Gruppe mit zehn Verbrechern unterschied sich kaum von der ersten, bloß daß es diesmal keinen Apostaten gab. Moudi fiel es leicht, sie zu verabscheuen, als er sich die Gruppe mit ihren fahlen Gesichtern und ihrem kriecherischen Gehabe ansah. Die Gesichtsausdrücke vor allem, Blicke ausweichend, hin und her schauend, auf der Suche nach Ausweg, Trick, Winkelzug. Die Kombination aus Angst und Brutalität in ihren Zügen. Nein, sie waren keine wesentlichen Träger von Leben.
»Wir haben einige Kranke hier«, sagte er ihnen. »Sie sind zu deren Betreuung eingeteilt. Wenn Sie die Arbeit gut erledigen, werden Sie als Krankenwärter zur Arbeit in Ihren Gefängnissen ausgebildet. Wenn nicht, werden Sie wieder zu Ihren Zellen und Ihren Strafen geschickt.
Wenn einer von Ihnen sich danebenbenimmt, werden Sie unmittelbar und streng bestraft.« Alle nickten. Strenge Behandlung kannten sie. Iranische Gefängnisse waren nicht für Annehmlichkeiten bekannt. Und auch nicht für gutes Essen, wie es schien. Sie hatten alle blasse Haut und triefende Augen. Welche Fürsorge verdienten solche Leute denn schon? fragte sich der Arzt. Jeder war schwerer Verbrechen überführt, und welche unbekannten Straftaten in ihrer Vergangenheit lagen, wußten nur die Verbrecher und Allah. Als Räuber, Diebe und Päderasten hatten sie alle in einem Land gegen das Gesetz verstoßen, wo es von Gott kam, zwar streng war, aber auch gerecht. Ihre Behandlung mochte nach westlichen Maßstäben drakonisch sein – Europäer und Amerikaner hatten die merkwürdigsten Ansichten zu Menschenrechten; denn was war mit den Rechten der Opfer solcher Menschen? Wie schade, sagte sich Moudi und distanzierte sich damit von den Leuten vor sich. Amnesty International hatte schon lang aufgehört, sich über die Gefängnisse seines Landes zu beklagen. Vielleicht könnten sie ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden, wie etwa der Behandlung der Gläubigen in anderen Ländern. Unter ihnen war keine Schwester Jean Baptiste, und die war tot, und das stand geschrieben, und es blieb nur übrig, zu schauen, ob ihre Schicksale von derselben Hand ins Buch des Lebens und Todes eingetragen worden waren. Er nickte dem Oberaufseher zu, der die neuen ›Krankenwärter‹ anschrie. Moudi bemerkte, daß sie sogar aufsässig dastanden. Nun, das würde behoben werden.
Sie waren alle vorbereitet, entkleidet, geduscht,
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