Befehl von oben
Dieser präsidialen Einschätzung wurde zugenickt, aber nicht von jedem.
»Mr. President?« meldete sich Vasco.
»Ja, Bert – übrigens: guter Blick. Sie haben das Timing nicht ganz exakt hingekriegt, aber ich will verdammt sein, wenn es nicht knapp dran war.«
»Danke. Mr. President, was die Konsolidierung angeht, das betrifft die Bevölkerung, stimmt's?«
»Sicher.« Ryan und die anderen nickten. Die Konsolidierung einer Regierung beruhte auf kaum mehr, als daß die Bevölkerung sich an das neue System gewöhnte und es akzeptierte.
»Sir, wenn Sie sich die Bevölkerungszahlen im Irak anschauen, der sich an die neue Regierung gewöhnen muß, dann vergleichen Sie die mal mit der Bevölkerung der Golfstaaten. In puncto Entfernung und Territorium ist es ein großer Sprung, aber nicht in puncto Bevölkerung«, sagte Vasco, womit er sie daran erinnerte, daß Saudi-Arabien, wenn es auch größer als die USA östlich des Mississippis war, weniger Einwohner als der Großraum Philadelphia hatte.
»Sie werden nicht sofort etwas unternehmen«, warf Adler ein.
»Sie könnten schon. Hängt davon ab, was Sie unter ›sofort‹ verstehen, Herr Minister.«
»Iran hat zu viele innere Probleme«, meldete sich Goodley.
Vasco entschied, die Unterredung an sich zu reißen. »Unterschätzen Sie nicht die religiöse Dimension«, warnte er. »Das ist ein einigender Faktor, der innere Probleme hinwegfegen oder zumindest unterdrücken könnte. Die Flagge sagt es schon. Der Name des Staates sagt es. Sieger sind auf der ganzen Welt beliebt. Daryaei schaut nun echt wie ein Sieger aus, nicht wahr? Und noch etwas.«
»Was denn, Bert?« fragte Adler.
»Haben Sie sich die Flagge angesehen? Die zwei Sterne sind ganz schön klein«, sagte Vasco nachdenklich.
»Ja, und?« Das war Goodley. Ryan blickte noch einmal auf den Fernsehsprecher. Die Flagge war hinter ihm noch zu sehen und …
»Und da gibt's reichlich Platz für mehr.«
*
Das war der Augenblick, von dem er geträumt hatte, aber nun war der Jubel real, drang ihm von außen, nicht von innen, an die Ohren. Mahmoud Hadschi Daryaei war vor Tagesanbruch hergeflogen, und bei aufgehender Sonne war er in die zentrale Moschee gegangen. Er hatte demütig dem Ruf vom Minarett gelauscht, der die Gläubigen zum Gebet rief, und heute drehten sich die Menschen nicht auf die andere Seite und versuchten, noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Heute schwärmten sie von allen Wohnblöcken zur Moschee in andächtiger Haltung, die ihren Besucher zutiefst rührte. Daryaei genoß einfach den einmaligen Augenblick, und Tränen strömten ihm über die dunklen, tief zerfurchten Wangen in dem überwältigenden Gefühl des Augenblicks. Er hatte seine erste Aufgabe bewältigt. Er hatte den Wunsch des Propheten Mohammed erfüllt. Er hatte dem Glauben zu etwas mehr Einheit verholfen, der erste Schritt in seiner heiligen Sendung. Im ehrerbietigen Schweigen nach dem Morgengebet stand er auf und schritt auf die Straße hinaus, und hier wurde er erkannt. Zum größten Entsetzen seiner Leibgarde ging er die Straße entlang, erwiderte die Grüße der erst verdatterten, dann ekstatischen Menschen, die den früheren Feind ihres Landes als Gast unter ihnen gehen sahen.
Hier wurde nichts mit Kameras aufgenommen. Dieser Augenblick sollte durch öffentliche Zurschaustellung nicht befleckt werden, und obwohl eine gewisse Gefahr bestand, nahm er sie hin. Was er tat, würde ihm viel verraten. Es würde ihm etwas aussagen über die Kraft seines Glaubens und des erneuerten Glaubens dieser Menschen, und es würde ihm sagen, ob er in seiner Sendung Gottes Segen genoß oder nicht, denn Daryaei war wirklich ein demütiger Mensch, der tat, was er tun mußte, nicht für sich, sondern für seinen Gott. Bald wurde aus den Passanten eine Menge, und aus der Menge eine Volksmasse. Menschen, die er noch nie gesehen hatte, machten sich zu seinen Beschützern, bahnten ihm einen Weg durch die Leiber und Jubelschreie, als er auf seinen betagten Beinen einherschritt, während seine nun heiteren dunklen Augen nach links und rechts schweiften und er sich fragte, ob er in Gefahr geraten würde, aber nur auf Freude traf, die seine eigene widerspiegelte. Er gab sich in Blicken und Gesten vor der Volksmasse wie ein Großvater, der seine Nachkommen begrüßte. Er lächelte nicht, sondern nahm gelassen ihre Liebe und Achtung entgegen. In seinen Augen lag das Versprechen noch größerer Dinge, denn großen Taten mußten noch größere folgen, und
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