Befehl von oben
Passagierflug mit der Nummer SQ26 um 8.30 Uhr startete planmäßig.
Der Flug würde knapp acht Stunden dauern. Der Kurier hatte einen First-Class-Fensterplatz. Er neigte die Rückenlehne. An seinem Zielort war es noch nicht mal drei Uhr früh, und er zog Schlaf einem Film vor, wie die meisten anderen in der Nase des Flugzeugs. Seinen Reiseplan kannte er auswendig. Im Moment reichte Schlaf; er wandte den Kopf auf dem Kissen, beruhigt vom Rauschen der Luft, die am doppelschichtigen Fenster vorbeistrich.
Andere Flüge waren hinter ihm in der Luft mit anderen Kurieren unterwegs nach Boston, Philadelphia, Washington/Dulles, Atlanta, Orlando, Dallas/Fort Worth, Chicago, San Francisco, Miami und Los Angeles, den zehn Haupteinflugstoren nach Amerika. Auf jeden von ihnen wartete eine Handelsmesse oder eine Tagung. Zehn weitere Städte, Baltimore, Pittsburgh, St. Louis, Nashville, Atlantic City, Las Vegas, Seattle, Phoenix, Houston und New Orleans, boten auch Veranstaltungen, und dorthin gab es kurze Flüge – in zwei Fällen sogar bloß kurze Autofahrten – vom nächsten Einreiseort.
Der Kurier im Flug SQ26 ließ sich das alles durch den Kopf gehen, als er wegdämmerte. Das Rasierzeug war in seinem Handgepäck unter dem Vordersitz untergebracht, und er achtete darauf, daß er die Tasche mit seinen Füßen nicht berührte, geschweige denn trat.
Außerhalb Teherans ging es auf Mittag zu. Movie Star beaufsichtigte seine Gruppe bei Waffenübungen. Es war hauptsächlich Formsache und diente vor allem der Moral. Sie konnten alle gut schießen, im Bekaatal gelernt und geübt, und daß sie andere Waffen benützten als in Amerika, war unerheblich. Gewehr war Gewehr, und Ziele waren Ziele, und bei beidem kannten sie sich aus. Sie konnten natürlich nicht alles simulieren, aber alle konnten fahren und waren täglich stundenlang die Diagramme und Modelle durchgegangen. Sie würden spätnachmittags einfallen, wenn Eltern ihre Kinder zum täglichen Heimweg abholten, wenn die Leibwache müde und gelangweilt war von einem Tag der Beobachtung von Kindern bei kindischen Dingen. Movie Star hatte mehrere ›Stamm‹-Autos gesehen, und einige waren verbreitete Modelle, die sich leicht mieten ließen. Die Gegner waren so geübt und erfahren, wie es nur ging, aber keine Supermänner. Einige waren gar Frauen, und trotz aller Erfahrung mit dem Westen sah Movie Star Frauen nicht als ernsthafte Gegner an, mit oder ohne Waffen. Der größte taktische Vorteil war aber, daß sein Team willens war, die tödliche Schlagkraft mit ungehemmter Begeisterung einzusetzen. Inmitten von über zwanzig Kleinkindern, mit Schulpersonal und wahrscheinlich ein paar Eltern im Wege, würden die Gegner stark behindert sein. Nein, der Aktionsbeginn war das leichteste. Schwierig war der Fluchtweg – wenn es so weit kam.
Er mußte seinem Team sagen, daß sie fliehen würden und es einen Plan gab. Aber das war unwesentlich, und im Herzen wußten es alle.
Sie waren alle bereit, sich in dem unverkündeten Dschihad zu opfern, sonst wären sie gar nicht erst der Hisbollah beigetreten. Sie waren auch bereit, ihre Geiseln als Opfer zu sehen. Aber das war nur ein praktisches Etikett. Die Religion war eigentlich nichts weiter als eine Fassade für das, was sie taten und waren. Ein ernsthafter Religionsgelehrter wäre bei ihren Absichten erblaßt, aber der Islam hatte viele Anhänger, und darunter gab es etliche, die gerne die Schriften auf unkonventionelle Art auslegten, und auch sie hatten Anhänger. Was Allah von ihren Handlungen gedacht hätte, machte ihnen keine großen Sorgen, und Movie Star machte sich nicht die Mühe, überhaupt dran zu denken. Für ihn war es ein Geschäft, eine politische Erklärung, eine berufsmäßige Herausforderung, eine weitere Aufgabe, die seine Zeit beanspruchte. Vielleicht war es auch ein Schritt auf ein größeres Ziel zu, dessen Erreichen ein bequemes Leben und vielleicht sogar etwas persönliche Macht und Stabilität bedeuten würde – aber insgeheim glaubte er nicht einmal das.
Früher, ja, da hatte er noch an den Sturz Israels geglaubt, die Tilgung der Juden vom Angesicht der Erde, doch die sorglose Überzeugung seiner Jugend war lange schon verblaßt. Die Natur ihrer Aufgabe war eigentlich unwichtig, oder? fragte er sich beim Betrachten der grimmig enthusiastischen Gesichter, als die Männer die Übungsziele durchlöcherten.
Ja, denen schien's wichtig zu sein, aber er wußte es besser.
*
Für Inspektor Patrick O'Day begann der
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