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Befehl von oben

Befehl von oben

Titel: Befehl von oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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belastete, viel Enttäuschung. Er hätte nie kapiert, daß es fast nur seine Schuld war. In seinen Augen regierte er gerecht, in denen anderer ziemlich hart. Die meisten Gesetzesverstöße verlangten den Tod des Missetäters, schon kleine Irrtümer von Bürokraten in der Verwaltung konnten das Ende einer Laufbahn nach sich ziehen – Gnade hing natürlich von der Größe des Irrtums ab. Ein Bürokrat, der zu allem nein sagte und feststellte, daß in diesem Punkt das Recht eindeutig sei, ob es stimmte oder nicht, geriet kaum in Schwierigkeiten. Einer, der das Ausmaß der Regierungsmacht auf geringfügigste Alltagsaktivitäten erweiterte, vergrößerte nur Daryaeis Machtfülle. Solche Entscheidungen waren einfach und brachten dem fraglichen Entscheidungsträger kaum Schwierigkeiten ein.
    Aber das wirkliche Leben war nicht so einfach. Praktische Handelsfragen beispielsweise, wie etwa das Land insgesamt seine Geschäfte betrieb, vom Verkauf von Melonen bis Hupen in der Nähe von Moscheen, erforderten ein gewisses Urteilsvermögen, weil der Heilige Koran nicht jede Sachlage vorhergesehen hatte und auch das Zivilrecht nicht darauf ausgerichtet war. Aber jedwede Liberalisierung war ein größeres Unternehmen, weil jede Liberalisierung einer Vorschrift als theologischer Irrtum angesehen werden könnte – und das in einem Land, wo die Abkehr vom Glauben Kapitalverbrechen war. Daher neigten mindere Bürokraten, wenn sie vor der Notwendigkeit standen, einer Nachfrage zuzustimmen, öfters dazu, die Angelegenheit nach oben weiterzuleiten, was höherstehenden Beamten die Chance gab, nein zu sagen. Das Ergebnis war, daß solche Fälle die Machtpyramide hinaufschäumten. Zwischen Daryaei und der Bürokratie lagen der Rat der Religiösen (Daryaei war zur Zeit Khomeinis Mitglied gewesen) und ein Titularparlament sowie erfahrene Beamte, aber zum Leidwesen des religiösen UIR-Führers galt das Prinzip, und er sah sich mit so wichtigen Fragen konfrontiert wie Marktzeiten, Treibstoffpreisen und Inhalt der Schulbücher für präpubertäre Mädchen. Die säuerliche Miene, die er bei solchen Anlässen aufsetzte, machte die Kollegen um so unterwürfiger in ihrer Präsentation von Für und Wider, was dem Absurden groteske Feierlichkeit beifügte, während sie Gefallen suchten für Strenge (Opposition zur Veränderung, die zur Debatte stand) oder Praxisnähe (sie befürworten). Größtes politisches Spiel in der Stadt war, die Gunst Daryaeis zu gewinnen, und er fand sich unweigerlich von Kleinigkeiten so eingeschlossen wie ein Insekt in Bernstein, obwohl er seine ganze Zeit für Wichtiges brauchte.
    Verwunderlich war nur, daß er nie verstand, warum die Leute nicht ein bißchen Initiative ergreifen konnten, obwohl er Menschen dafür vernichtete, daß sie jemals welche gezeigt hatten.
    Und so kam es, daß er an diesem Abend in Bagdad landete, um sich mit religiösen Oberhäuptern zu treffen. Es ging diesmal um die Frage, welche der restaurierungsbedürftigen Moscheen als erste in Angriff genommen werden sollte. Es war bekannt, daß Mahmoud Hadschi eine zum Gebet, eine andere wegen architektonischer Schönheit und eine weitere wegen großer historischer Bedeutung favorisierte, während die Stadtbevölkerung doch eine andere am liebsten hatte – und wäre es politisch nicht besser, mit der Renovierung dieser einen zu beginnen, um politische Stabilität der Region zu stützen? Dann stand das Problem mit dem Recht der Frauen an, Auto zu fahren (das frühere irakische Regime war damit viel zu liberal umgegangen!). Untragbar, aber war es nicht schwierig, ein bestehendes Recht wieder zu entziehen, und was wäre mit Frauen, die keinen Mann zum Fahren hatten und denen auch Geld fehlte, sich ein Fahrzeug zu mieten? Sollte da die Regierung sich der Bedürfnisse annehmen? Einige – Ärztinnen, Lehrerinnen zum Beispiel – waren für die hiesige Gesellschaft wichtig. Andererseits durfte nach der Vereinigung von Iran und Irak nur ein Gesetz gelten, und sollte demnach den iranischen Frauen ein Recht gewährt oder den irakischen eines entzogen werden? Für diese gewichtigen Fragen und noch ein paar andere mußte er abends nach Bagdad fliegen.
    Daryaei saß in seinem Privatjet, sah die Tagesordnung für das Treffen durch und hätte am liebsten gekreischt, aber dafür war er zu besonnen – sagte er sich zumindest. Er mußte schließlich etwas Wichtiges vorbereiten. Am Vormittag würde er mit dem jüdischen Außenminister der USA zusammentreffen. Seine

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