Begegnung im Schatten
undefinierbare Bilder über die Scheibe. Dann hatte Roman Eiselt die Kamera stabil im Griff.
Ein korridorähnlicher schmaler Gang war zu sehen, so als wären links und rechts eine Art Einbauschränke installiert. Man sah feine Fugen, aber keinerlei Beschläge.
Dann schwenkte Roman Eiselt langsam dorthin, wo man den Bug des Shuttles und das Fenster vermuten konnte. In der Tat: Ein dunkles Viereck befand sich da, darunter ein nicht gänzlich zu überschauender halbrunder Bord mit einer Anzahl quadratischer Scheiben, die kleinen Bildschirmen ähnelten. Zu einem Teil verdeckt aber wurde diese breite Leiste von zwei durchsichtigen glasartigen Quadern, die, in keiner Weise gerichtet, davor lagen. Von dem, was man als Decke annehmen konnte, hingen gurtähnliche Gebilde und Leisten herab, die aussahen, als seien sie gewaltsam gelöst oder zerrissen worden.
Roman Eiselt zoomte die Quader heran.
In der Betrachtergruppe vor dem Bildschirm herrschte atemlose Spannung.
Die gläsernen, in der Längsachse vielleicht einen Meter großen hohlen Quader waren an einem Ende zu einem Viertel undurchsichtig. Darüber sah es aus, als stände etwa zur Hälfte des verbliebenen Raums eine leicht bläuliche Flüssigkeit. Aus dieser ragten oder in ihr schwammen dunkle, kompakte Körper, nicht größer als 50 bis 70 Zentimeter.
Roman Eiselt fokussierte.
„Das sind ja, sind ja – Fische!“, rief plötzlich, in die allgemeine Erstarrung hinein, Fritz Hegemeister und zeigte erregt auf den Schirm.
Niemand regte sich.
Roman Eiselt vergrößerte das Bild.
„Keine Fische“, bemerkte dann Professor Kalisch ziemlich ruhig. „Eher – große Kaulquappen.“ Er trat an den Schirm. „Hier – Vorderbei…“, er korrigierte sich, „Arme und Greifer.“ Er klopfte an den entsprechenden Stellen des Bildes mit dem Fingerknöchel an den Schirm.
In der Tat: Das, was da in der Flüssigkeit schwamm, hatte einen in einem beflossten Schweif auslaufenden ziemlich plumpen Körper, dem übergangslos ein Kopf aufsaß, den zwei große runde Augen dominierten. Darunter befand sich eine wenig hervortretende Körperöffnung. Farbunterschiede zwischen dem Körper und dem Kopf, unterhalb dessen die Extremitäten hervorwuchsen, gab es nicht.
Lange ließ Roman Eiselt das Bild stehen. Dann schwenkte er langsam den Korridor zurück und richtete das Objektiv nach hinten. Völlig unspektakulär schloss der kurze Gang an etwas Schrankähnlichem ab.
Niemand sprach, niemand bewegte sich.
„Was jetzt?“, fragte Roman Eiselt.
„Kommen Sie zurück“, ordnete dann Professor Kalisch nachdenklich an. Und an Fritz Hegemeister gewandt: „Entfernen Sie die Schleuse.“
Sandra Georgius hob die Hand, als wolle sie etwas einwenden.
„Wenn drin Luft ist, brauchen wir sie nicht“, erläuterte Kalisch.
Fritz Hegemeister zuckte mit den Schultern und setzte sein Heißluftgebläse in Gang.
Nur allmählich erholten sich die Anwesenden aus der übermenschlichen Anspannung der letzten Minuten.
„Es ist ungeheuer“, sagte Hartmann. „Kaulquappen!“
„Glauben Sie, dass alles vernünftige Leben automatisch wie Menschen aussehen muss?“, fragte Stephan Ramlundt gereizt.
Hartmann schwieg. Dann sagte er: „Ich habe mal von einer Theorie gelesen…“
„Da haben Sie Ihre Theorie“, Stephan Ramlundt wies hämisch auf den Shuttle, an dem halb abgelöst die Schleusenkabine hing und Roman Eiselt den Schließmechanismus so präparierte, dass sich die Luke jederzeit ohne Hilfsmittel würde öffnen lassen. „Und außerdem: Metamorphose Kaulquappen sind es gewiss nicht. Das sind hochentwickelte Wesen, die uns allesamt in den Sack stecken.“
„Ich möchte trotzdem wissen, wie – so etwas vernünftig leben und – interstellar reisen kann“, bemerkte Waldmann.
„Kommen Sie!“ Professor Kalisch stand am Zelteingang und hielt die Plane empor.
Gedankenvoll langsam verließen sie das Zelt, standen unschlüssig in der Halle, bis Kalisch erneut aufforderte: „Doktor Georgius hat im Gasthaus einen Raum für uns reserviert. Wir wollen uns dort noch – verständigen. Doktor Georgius, rufen Sie auch Eiselt. Den Rest hier kann Ihr Faktotum besorgen. Aber sorgfältig sichern!“
„Einiges werden wir bestimmt herausfinden“, erwiderte Sandra Georgius auf Waldmanns Bemerkung. – Millionen Jahren Besuch aus dem Kosmos hatte. Wer annimmt, dass es außer den Menschen noch andere hochentwickelte Lebewesen im All geben muss – ich gehöre dazu –, den wundert das nur bedingt.
Weitere Kostenlose Bücher