Begegnung im Schatten
Gedanken, von denen sie wusste, dass sie zu keinem Ergebnis fuhren würden. Aber überlagert wurden sie nach wie vor von der Euphorie, als Erste dabei gewesen zu sein und mitwirken zu dürfen an einem Jahrtausendereignis.
„Na, du?“, sagte Sandra Georgius, und sie klopfte mit dem Knöchel an den nächstgelegenen Behälter, aus dem heraus sie das Wesen scheinbar mit den großen Augen anstarrte, Augen, die keineswegs von einem Schleier des Todes getrübt waren.
Die Oberfläche der bläulichen Flüssigkeit, die dem Körper bis zu dem reichte, was als Arme bezeichnet werden konnte, erzitterte leicht.
„Warum haben sie euch aufgegeben, eure Kameraden, und nicht aus dem Sumpf geholt, in den ihr eingetaucht seid? Haben sie feststellen können, dass jede Rettung zu spät kam? Auf welche Verhaltensmuster und Bräuche könnte man schließen aus einem solchen Umgang mit euren Verblichenen? Und weshalb haben sie den sicher wertvollen Apparat nicht geborgen? Hat auch er einen irreparablen Schaden davongetragen, dass sich jeder Aufwand verbot? Freilich, defekt muss er gewesen sein, sonst wäre er wohl nicht abgestürzt.
Alles Fragen, auf die wir nie eine Antwort erhalten werden. Aber es ist gut, dass sich eure Kumpane so und nicht anders entschieden haben. Wir säßen uns nicht Auge in Auge gegenüber, und wir hätten keine Ahnung von eurer Existenz.“
Sandra Georgius lächelte ob ihres albernen, einseitigen Geredes. Sie stand auf und packte den vor ihr liegenden Quader. Nur wenige Zentimeter konnte sie ihn anheben. ,Mindestens fünfzig Kilo’, dachte sie. An der Leiste mit den kleinen Bildschirmen entdeckte sie leichte Beschädigungen. Sie betrachtete die Gurte und Gestänge, die von der Decke hingen und konnte sich gut vorstellen, dass die beiden Behälter ursprünglich daran in irgend einer Weise befestigt und durch den Aufprall beim Absturz des Apparates aus dieser Halterung herausgerissen worden waren. Das hatten die beiden nicht überlebt. Und abermals wunderte sich Sandra, dass deren Gefährten danach so offensichtlich nichts unternommen hatten, um das Wrack zu bergen. Selbst wenn es tief in den Sumpf eingedrungen sein sollte, müsste jemand, der im Stande ist, interstellar zu reisen, die Voraussetzungen haben, eine solche Aktion durchzuführen. ,Was damals geschah, werden wir nie erfahren – oder?’ Sandra Georgius’ Blick glitt über die Behältnisse, die mindestens drei Fünftel des Innenraums des Shuttles ausfüllten. ,Stecken sie womöglich voller Informationen, Aufzeichnungen?’
Sie veränderte den Standort der Lampe und brachte mit großer Anstrengung den einen der Quader in eine aufrechte Position. Deutlich konnte sie spüren, dass der Schwerpunkt des Gebildes im nicht durchsichtigen Teil lag.
Das Wesen stand jetzt aufrecht auf der kräftigen Schwanzflosse. Sandra hatte den Eindruck, dass es nunmehr eher einem etwas korpulent geratenen kleinen Seehund als einer Kaulquappe glich. Das, was sie nach Lage der Augen für die Körperunterseite des Wesens hielt, wies zwei deutliche Hautfalten auf, die durchaus weitere Körperöffnungen überdecken konnten.
Die Frau wuchtete den zweiten Quader in eine Stellung, in der sie den Inhalt von allen Seiten betrachten konnte.
Außer dass die eine, die größere der Falten parallel und nicht quer, wie bei dem anderen Wesen, zur Körperachse verlief, konnte Sandra Georgius Unterschiede zwischen den beiden nicht feststellen. Dennoch war sie sich sicher, allein auf Grund dieses einen Merkmals, dass sie zwei Wesen ungleichen Geschlechts vor sich hatte.
Sandra Georgius atmete tief durch. Welch eine Fülle von Untersuchungen und Informationen wartet auf die Forscher. ,Und ich bin dabei! Viel, viel werden sie uns über sich verraten.’ Und wieder glitt ihr Blick über die Wände ringsum.
Die Frau saß noch eine Weile vor den Behältern, kostete die Hochstimmung aus, in der sie sich befand, und ihre Gedanken kreisten immer nur um das Eine: Dabei zu sein, unmittelbar, wenn es galt, das vielleicht sensationellste Ereignis seit Menschengedenken auszuwerten.
Später verließ sie, noch immer gefangen in ihrer Glücksstimmung, den Shuttle, lehnte die Luke an, verschnürte das Zelt und schloss sorgfältig die Pforte der Halle ab.
Draußen begegnete ihr der Wächter. Sie grüßte „Hallo! Passen Sie gut auf. Eine ruhige Nacht wünsche ich!“
„Die wird’s. Was soll hier schon passieren. Gute Nacht!“
„Was machst du so auf Hektik!“, räsonierte Stephan Ramlundt.
Weitere Kostenlose Bücher