Begegnung im Schatten
schließlich sind wir Mitwisser und -täter in einem historischen Kriminalfall ohne Beispiel.
Aber es geht um sie. Sie werden ihr Leben ohne Wissen um ihre Wurzeln im goldenen Käfig verbringen, ihre Fähigkeiten eingedampft auf das Niveau der Menschen. Und selbst dieses werden sie nur mittelbar aus Datenträgern erleben.
Wie öfter in der letzten Zeit kamen Stephan solche Gedanken wieder, als er mit den anderen vom Glashaus zurück zur Wohnstatt schlenderte. ,Und ich’, dachte er, ,habe mit ganzer Kraft dazu beigetragen und tue es noch, dass es so wird, wie es ist.’
Später am Abend zog es Stephan Ramlundt während eines Spazierganges erneut zum Anwesen der beiden irdischen Exterraner.
Der Mann legte die Stirn an die kühle Glaswand und spähte in das Innere. Die Landschaft dort, in gedämpftes, diffuses Licht getaucht, kam ihm auf einmal unwirklich, kitschig vor. ,Es fehlte noch’, dachte er, ,dass sich Elfen und Kobolde aus den Schatten lösen und anfangen, Reigen zu tanzen.’
Was sich ihm allerdings näherte, hatte mit diesen Fabelwesen nichts gemein.
Eine kleine Gestalt trat ins Licht, kam im bekannten Gang näher, und sie trug ein flaches viereckiges Etwas unter dem Arm, für sie unverhältnismäßig groß und anscheinend gewichtig.
Es war Lissi. Ramlundt erkannte sie an dem Topas auf ihrer Armspange, der einen Augenblick, vom Licht getroffen, auffunkelte.
Was weiter geschah, ließ Stephan Ramlundt aus dem Staunen nicht heraus kommen: Lissi lehnte sich an die Wand, das heißt, sie legte sich auf den Rücken und nur den Kopf stützte sie ab, das Gesicht dem Betrachter abgewandt. Sie packte sich den viereckigen Gegenstand auf den Körper und klappte ihn auf. Der Bildschirm eines Notebooks erhellte sich. Lissis Fingerchen tippten flink. In großer Schrift stand da „hallo!“
Stephan Ramlundt war so überrascht, dass er sich vor der Wand auf den Boden setzte und sich zunächst nicht fähig fühlte, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann murmelte er: „Wir unterschätzen sie, unterschätzen sie maßlos!“ Er lachte plötzlich auf. „Diese Lauring – eine falsche Schlange!“, sagte er anerkennend.
Sein Blick fiel wieder auf den Monitor. „laut sprechen“ stand da mit Ausrufezeichen. Und darunter: „name?“
Wieder verschlug es Stephan Ramlundt die Sprache. „Stephan“, sagte er nach Sekunden in normaler Lautstärke, besann sich und rief „Stephan“.
„Stefan“, wiederholte der Bildschirm.
„anja?“
Ramlundt begriff nicht sogleich. Doch dann erinnerte er sich. Die Lauring hieß wohl mit Vornamen Anja. „Im Haus“, sagte er nicht mehr ganz so laut. Er wunderte sich ohnehin, dass er sich verständlich machen konnte. Immerhin hatte die Glaswand eine Stärke von zwei Zentimetern, soviel er wusste. Dass das Geschöpf aber überhaupt Sprache verstand, begriff er zunächst sowieso nicht.
Aber es erschien bereits Neues auf dem Schirm: „neu haus und mauer?“
Ramlundt sann nach und verstand. ,Sie können nicht, noch nicht, abstrahieren’, dachte er und geriet in Verlegenheit. Was sollte er antworten? Auf jeden Fall nicht so, wie manche Leute bei radebrechenden Ausländern, indem sie zurück radebrechen
– aber wie inhaltlich? „Das neue Haus ist gut und hat mehr Platz“, sagte er dann.
Eine Weile blieb der Bildschirm leer. Offenbar überlegte Lissi. Dann schrieb sie: „mauer?“
Nun war es an Stephan Ramlundt, nachzudenken. Kein Zweifel, sie steckten in den Anfängen des Sprachelernens. Dr. Lauring wird zunächst Begriffliches, Nützliches und Gegensätzliches gelehrt haben, gut und schlecht zum Beispiel. Und zählen werden sie bereits können. Er sagte: „Ein Mensch ist schlecht, die Mauer ist gut.“
Eine kleine Weile blieb Lissis Monitor wieder leer, doch dann schrieb sie: „verstanden, gute nacht, Stefan.“ Sie klappte den Computer zu, stand auf, winkte und ging davon.
Stephan sah ihr nach, bis Schatten die schwarze Gestalt aufnahmen. Mit sehr gemischten Gefühlen ging er dem Wohnhaus zu. Wenn sie bereits die wenigen Worte, die sie kennen, nutzen, um ihr Sein zu ergründen. Wie weit muss dann die Frage in ihrer Gedankenwelt bereits eine Rolle spielen. Und was kommt auf das Team zu, in abzählbaren Tagen, wenn sie ihre Fragen exakt formulieren können. Welche Antworten werden wir geben?
Trotzdem, obwohl sie nicht gerade zu den ihm sympathischen Menschen zählte, bloßstellen würde er Dr. Lauring nicht. ,Sie wird ihre Gründe haben’, dachte er, ,dass sie bis jetzt
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