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Begegnung im Schatten

Begegnung im Schatten

Titel: Begegnung im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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außerirdischen Mädchens vor zwei Tagen war jedem der fünf sehr nahe gegangen, und natürlich suchten sie in erster Linie die Schuld daran bei sich. Eine Spätfolge der Manipulation?, falsche Ernährung, schlechte Umweltbedingungen? Oder doch eine Infektion, der das arteigene Immunsystem nichts entgegenzusetzen hatte?
    Es herrschte eine weitgehende Ratlosigkeit. Freilich, das Experiment ließ sich jederzeit wiederholen. Noch lagerten der Körper und genügend selektiertes Erbmaterial im Tieffrost. Aber was anfangs so gut wie keine Rolle gespielt hatte, wuchs sich nunmehr zu einem, wie es schien, nicht mehr lösbaren Problem aus, das den Akteuren längst über den Kopf gewachsen war: Sie erzeugten Leben, weit höherentwickeltes als das eigene, und je mehr sie dieses erkannten, umso unwahrscheinlicher wurde es, jemals damit umgehen zu können. Es sei denn, man entwickelte es zu einer eigenen Population, aber das wäre eine Aufgabe weit jenseits eines Forscherteams. Es wäre eine Großtat der Menschheit, zu der ihr in der Gegenwart auch nur der Hauch einer Reife fehlt Und eine Frage, bliebe außerdem unbeantwortet:
    Warum sollte man so etwas tun? Kämen nicht die Gegner mit dem Kuckucksei-Argument? Wie heute schon die Beschränkten und Unfähigen sich nach Kräften mühen, Gescheite und Kreative zu ducken, wenn sie die Macht dazu besitzen?
    Jedem der fünf Menschen des Hauserteams war klar, dass ein kleines Wesen, ein Jahr alt, aussehend wie ein dicker Seehund, sie mit seinem Wissen allesamt überflügelt hatte, dass es nur noch eine Frage kurzer Zeit sein konnte, dass sich dieses jetzt noch passive Wissen in Fortschritt umschlägt, sich also Hausers ursprüngliche Vision verifiziert? Eine sich selbst steuernde Denkmaschine also.
    Erst der Tod also musste den unverzeihlichen Irrtum aufdecken.
    Hauser hatte Wesen tiefer emotionaler Empfindungen in die Welt gesetzt und allein gelassen, allein lassen müssen, weil es eine Brücke, eine Schnittstelle zu ihnen nicht gab.
    Es war also selbst diesem abgebrühten Ehrgeizling nicht gegeben, ad hoc zu entscheiden, das Experiment zu erweitern. Das Verhalten Lissis nach Grits Tod bildete Anlass genug, das gesamte Projekt zu überdenken. Dazu zählte natürlich auch, dass nach dem einstigen abendlichen Überraschungsbesuch, als Hauser genötigt war, sich über die Herkunft der beiden Exoten zu äußern, nie wieder eine diesbezügliche Frage aufkam, noch in irgendeiner Weise dazu etwas bemerkt wurde.
    Die fünf nahmen es als einen Ausdruck der Trauer, des Schocks auch, dass Lissi nicht mehr kommunizierte. Die Tafel mit dem Schriftzug „Grit ist tot“ war ihre letzte Äußerung.
    Dr. Lauring, die den größten Einfluss auf Lissi zu haben glaubte, fand keinen Zugang zu ihr. Sie antwortete nicht, schaute sie nicht an, behandelte sie, als sei sie Luft. Den anderen erging es erst recht so. Aber jeder hatte den Eindruck, dass es kein Ausdruck einer Verstimmung, Bösartigkeit oder Schuldzuweisung sei, sondern eben ihre Art zu trauern. Sie suchte keinen Trost bei ihr artfremden Wesen, vielleicht wie ein Mensch keinen Zuspruch von einem Tier erwartet.
    Das mit der Einäscherung Grits Körpers passte ins Bild. Die fünf glaubten, dass Lissi um die Todesriten und nicht nur um die in Deutschland wusste. Gewiss kannte sie mittlerweile die einen Todesfall betreffenden offiziellen Regeln und den Wert einer Obduktion. Aus welchem Gefühl heraus hat sie die Leiche der Artgenossin verbrannt? Spielt in ihre Gefühlsregungen ein Erbe hinein, das sie gewiss nicht in Worte fassen konnte, aber dennoch ihr Handeln bestimmt?
    Es blieb nichts übrig, als eine fatalistische Haltung einzunehmen, sie also gewähren zu lassen und abzuwarten, was insbesondere Dr. Lauring schwer fiel.
    Lissi nahm keine weitere Zuwendung mehr an. Neues Lernmaterial blieb unberührt, sie ließ sich kaum blicken, aber was verwunderte war, dass sie regelmäßig ihre Bäder nahm, und zwar in aller bekannten Ausgelassenheit.
    Dr. Lauring dämpfte die Genugtuung darüber, es wäre womöglich ein Zeichen rückkehrender Normalität. „Nein“, sagte sie. „Wir vermenschlichen! Was wir als Ausgelassenheit empfinden, mag ein sehr ernstes, lebensnotwendiges Bedürfnis ihrer Physis sein.“ Eine Auffassung, die den Optimismus der Zuhörer nicht gerade stimulierte.
    In diese Situation hinein platzte das Dilemma mit Markus Markowitsch. Und insbesondere Stephan Ramlundt stand nun vor der heiklen Aufgabe, Lissi vom Umzug in Kenntnis zu setzen

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