Begegnung in Tiflis
das auf den Wellen tanzende kleine Fischerboot zu ergreifen versuchten.
»Diese Hunde!« schrie Gawril. »O diese Hunde! In persischen Gewässern sind wir! Sie verletzen die Grenze! Seht sie euch an, näher kommen sie, ohne Rücksicht auf die Politik! Schämen sollte man sich, Russe zu sein!«
Das sowjetische Wachboot rauschte mit hoher Bugwelle heran. Kleiner wurde der Abstand, aber nun schoß es nicht mehr, sondern versuchte, den Weg des Fischkutters abzuschneiden und ihn von der Küste wegzudrängen.
Kolka und Bettina starrten mit weiten Augen auf dieses Rennen, bei dem ihr Leben entschieden wurde. Keine Hoffnung sahen sie mehr. Die starken Motoren des sowjetischen Kriegsschiffes trieben es über die Wellen, als könne es fliegen. Dagegen rumpelte und stotterte der Motor Gawrils zum Gotterbarmen, und hier half kein Beten mehr, kein Glaube an das Gute, keine Hoffnung auf ein Wunder. Der Stärkere siegte wieder, und das wird sich nie ändern auf der Welt.
»Hurra! Hurra!« schrie plötzlich Gawril, und es war erschütternd, daß er es auf deutsch brüllte. In diesen Minuten der Todesangst fiel alles von ihm ab, was er in den vergangenen Jahren angenommen hatte: sein Russentum, sein Name Gawril Andrejewitsch Kokurin, sein Leben als Fischer in einem Dorf an der Küste des Kaspischen Meeres. Er war wieder Gustav Korras aus Spiekeroog, der ostfriesischen Insel, und er fuhr um sein Leben, um dieses herrliche, wilde, schwere, verfluchte, geliebte Leben, das er schon einmal um Haaresbreite verloren hatte, damals bei der Kesselschlacht von Kalatsch, westlich von Stalingrad. Als die sowjetischen Panzerspitzen seine Stellung überrollten und sie nicht an Gegenwehr dachten, sondern einfach dastanden, die brummenden T 34 anstarrten und nicht begriffen, daß es Russen waren. Denn als sie die Panzer aus dem Wald kommen sahen, hatten sie ihnen noch zugewinkt … es sind Beutepanzer, Jungs, hatten sie gedacht … die Panzerschule in Kalatsch bildet ja an sowjetischen T 34 aus. Und dann krachte es um sie herum, und zu neunzig Prozent wurde die Kompanie zerfetzt … winkende, lachende, fröhliche Jungs, deren Gliedmaßen in einem Feuerwirbel durch die Luft flogen.
1942. Stalingrad. Und Gustav Korras aus Spiekeroog überlebte. Er überlebte auch die Gefangenschaft, er überlebte zweimal Typhus und einmal Gelbfieber, neunmal einen Sturm auf dem Kaspischen Meer und viermal einen Blitzschlag in die Mastspitze. Und nun, 1966, sollte es zu Ende sein? Nein, es war nicht zu Ende!
»Hurra!« schrie Gawril wieder und zeigte auf die Küste. Zwei längliche Schatten glitten auf sie zu, und nun flammte es auch dort auf, Scheinwerfer und Blinklichter, und im Widerschein der Lichter erkannten sie hochgereckte Geschützrohre und eingeschwenkte Vierlingsflak.
»Iranische Marine!« brüllte Gawril und tanzte um sein Steuerrad herum. »Wir sind gerettet! Wir haben es erreicht! Sie beschützen uns! Jetzt müssen sie abdrehen, die sowjetischen Hunde! Jetzt müssen sie zurück.« Und dann tat Gawril etwas, was Kolka wohltat, denn es entsprach seinem eigenen Denken: Er stellte sich an die Bordwand, mit dem Rücken zu dem langsamer fahrenden sowjetischen Kanonenboot, und streckte seinen Hintern vor.
»Am Arsch leckt mich, Brüderchen!« schrie Gawril hell. Dann wandte er sich wieder um, machte eine kleine Verbeugung vor Bettina und sagte brav: »Entschuldigung, Töchterchen. Aber es mußte sein. Ich wäre sonst geplatzt.«
Das sowjetische Kanonenboot stellte plötzlich alle Motoren ab. Ganz ruhig lag es auf den Wellen, tanzte ein wenig und war hell erleuchtet. Die iranischen Wachboote blinkten noch immer, ihre Scheinwerfer erreichten nun das Boot Gawrils und tauchten es in grelles Licht.
»Auch das sind Idioten!« sagte Gawril böse. »Was soll die Beleuchtung?«
Die Antwort kam sofort. Aus vier überschweren Maschinengewehren schossen die Sowjets. Ein Rattern und Pfeifen und Jaulen war in der Luft, in die Bordwand schlug es ein, und Kolka warf sich zu Boden, riß Bettina mit und legte sich schützend über sie.
»Licht aus!« brüllte Gawril und kroch auf allen vieren in den Schutz des Ruderhauses. »Eine Zielscheibe sind wir ja. Und sie schießen in persischen Gewässern. Keiner glaubt es, wer's nicht selbst erlebt hat.«
Das Licht erlosch. Die iranischen Boote schwenkten ein, nahmen die Sowjets in die Zange, ein Warnschuß donnerte durch die Nacht. Noch einmal jagte eine Salve der russischen MGs über das Boot, und Kolka stöhnte auf, griff
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