Begegnung in Tiflis
einen sonst reibungslosen und für Algerien lebensnotwendigen Betrieb: den Schiffsverkehr zwischen Afrika und Frankreich. Es war zu erwarten, daß der wilde Streik auch auf die anderen Häfen übergriff, auf Oran und Bône vor allem. Das bedeutete, daß der Nachschub zu den Öl-Oasen gefährdet war. »Wer konnte das ahnen, als Sie von Marseille abflogen? Die ›Liberté‹? Ich muß einmal in der Liste nachsehen.« Der Subdirektor sah nach und nickte mehrmals, was Bettina durchaus nicht beruhigte. »In Bône. Dachte ich es mir doch. Nicht in Oran. Die ›Liberté‹ hatte Material für die Stationen Fort Lallemand, Hassi el Gassi und Ain Taiba an Bord. Von Bône aus können die Dinge in die Wüste geflogen werden.«
»Und Dimitri auch …«, sagte Bettina.
»Ich nehme an, daß Monsieur Sotowskij ebenfalls schon in Ain Taiba eingetroffen ist.« Der Subdirektor war so höflich, sogar an eine große Karte zu treten und mit seinem gelben Nikotinfinger auf einen Flecken inmitten eines gelbgetönten Gebietes zu zeigen.
»Hier.«
»Mitten in der Wüste also?«
» Ja .«
»Veranlassen Sie bitte, Monsieur, daß auch ich dorthin fliegen kann«, sagte Bettina mit fester Stimme. Der Subdirektor ließ die Hand von der Karte fallen, als sei sie plötzlich aufgeglüht.
»Nach Ain Taiba?«
» Ja .«
»Unmöglich, Mademoiselle.«
»Warum?«
»Es gibt da viele Gründe. Die wichtigsten sind: Keine Frau, keine europäische Frau, darf in dieses Gebiet. Dort leben einige hundert wilde Männer, die wochen- oder monatelang keine Frau sehen. Sie verstehen, Mademoiselle? Ein Berberlöwe ist ein Schoßkätzchen gegen diese Kerle, wenn sie eine schöne Frau sehen. Zweitens sind die Ölgebiete sowieso Sperrzonen. Drittens muß – falls man eine Ausnahme macht – diese vom Ministerium in Paris eingeholt werden, und das ist, Sie sehen das ein, aussichtslos. Und viertens – warum schreiben Sie nicht Monsieur Sotowskij? Wenn er den Willen hat, doch wieder nach Europa zurückzukehren, wird er das auch tun, wenn er weiß, daß Sie in Bône auf ihn warten. Denn bis Bône kann ich Sie bringen lassen.«
»Sie kennen Dimitri nicht«, sagte Bettina leise und sah auf die große gelbe Karte. Einöde, Sand, glutende Hitze. Und irgendwo in der grenzenlosen, heißen Einsamkeit ein paar Bohrtürme, ein paar Baracken um einen Brunnen, ein paar armselige Palmen, eine weiße Fahnenstange mit der Trikolore – und Dimitri, der Heimatlose, der Mann, dem nichts mehr blieb als das Ende der Welt. »Er ist Russe. Was sind Worte bei ihm? Geschriebene Worte. Er wird sie hundertmal lesen, auf ihnen schlafen, sie küssen, Buchstaben nach Buchstaben … aber er wird bleiben, wo er ist. Nein. Ich muß ihn selbst sehen, ich muß ihn an der Hand nehmen und zu ihm sagen: ›Komm, Dimitri, du großer Dummkopf, benimm dich nicht wie ein alter Bär, der nicht mehr tanzen kann und sich brummend verkriecht. Komm!‹ Und dann wird er mitgehen, nur dann!«
Der Subdirektor steckte sich eine neue Zigarette an. Sie roch wie versengte Matratzenfüllung. Was soll man sagen, dachte er, während er das Streichholz bis zum Ende in der Hand hielt und die Flamme bis zu seiner Fingerkuppe kriechen ließ, nur um Zeit zu gewinnen. Sie ist ein so hübsches Mädchen – muß es gerade ein Russe in Ain Taiba sein? So viele schöne, junge Männer gibt es.
»Es ist unmöglich«, wiederholte er. Ihm fiel nichts anderes ein.
»Dann gehe ich allein zu dieser Oase«, sagte Bettina fest. Der Subdirektor lächelte mild, wie über einen faden Witz, der aus Höflichkeit wohlwollend aufgenommen werden will.
»Ain Taiba liegt am Rande des Großen Östlichen Erg. Wenn Sie wissen, was das bedeutet … ein Meer aus Sand, aus glühendem weißem Sand, und der Wind darüber ist nicht erfrischend wie an der Küste, sondern ist ein Sandsturm, der Sie begräbt, der Sie erstickt. Staubfeiner Sand, der selbst zwischen die zusammengepreßten Lippen in den Mund dringt.«
»Ich bin aus Rußland herausgekommen, ich werde auch in die Wüste hineinkommen!« rief Bettina und sprang auf. Der Subdirektor sah sie bewundernd an, aber das änderte nichts daran, was er jetzt sagen mußte.
»Ich werde Sie festsetzen lassen müssen, um solchen Wahnsinn zu vereiteln, Mademoiselle«, sagte er fast bedauernd. »Die Suchaktionen, die Sie dann bestimmt auslösen, würden den Staat Hunderttausende kosten! Ganz davon abgesehen, daß Sie keinerlei Möglichkeiten hätten, bis Ain Taiba zu kommen.«
»Mit der
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