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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Jahren leitender Ingenieur der Tiflis-Ölkombinate – ich frage, wer hat schon eine solche Karriere hinter sich? Die Bauern, die an der Ölleitung wohnten, nannten ihn immer nur ›Das Herrchen‹, aber die Genossen in der Hauptverwaltung – der Teufel hole die Beamten – betrachteten ihn böse und bezeichneten ihn als einen ›westlich angehauchten Affen‹. Purer Neid war das, Freunde, denn wo Dimitri Sergejewitsch hinkam, zum Direktor Polowoj zum Beispiel, oder in ein Café auf der Ketschoweli-Straße, überall grüßte man ihn höflich, sprach ein paar nette Worte mit ihm, sah ihm dann nach und sagte ehrlich: »Ein angenehmer Mensch. Er wird noch einmal ein großer Mann werden.«
    Zur Aufgabe Dimitri Sergejewitsch Sotowskijs gehörte es, die Ölleitung zwischen Tiflis und Kasach zu kontrollieren. Nicht, daß sie auseinanderbrechen konnte, denn sie war aus bestem Rohrstahl, nahtlos und glänzend, als poliere man sie jeden Tag, und sie war der große Stolz von ganz Grusinien, ein Weltwunder gewissermaßen und die Lebensader von Mütterchen Rußland, denn wie hätte man den Großen Vaterländischen Krieg gewonnen ohne das Öl aus Baku – o nein, nur Angst hatte man um die schöne Leitung. Ein Russe ist mißtrauisch, überall sieht er Saboteure und Agenten, und man hat's ja erlebt in den vielen Jahren, daß immer wieder böse Menschen kamen und den Aufbau störten. Und so war es die Aufgabe von Dimitri Sergejewitsch Sotowskij, zweimal in der Woche und nachts – denn nachts kommen sie immer, die Saboteure – die Ölleitung abzufahren, hier zu klopfen, dort ein Pumpventil zu kontrollieren und am Morgen einen Bericht zu schreiben, daß alles in Ordnung sei.
    Einmal in zwei Jahren nur hatte er erlebt, daß jemand an der Pipeline Unrechtes tat. Ein alter, schnauzbärtiger Bauer war's, der einmal wöchentlich in der Nacht in einer Schlucht, durch die die Ölleitung sich zog, einige Fässer Rohöl abzapfte. Ein Löchlein hatte er einfach in das Stahlrohr gebohrt, und daraus sprudelte es lustig in die Fässer. Waren sie voll, verschloß er das Loch mit einem eisernen Stöpsel, den er mit einem Splint sicherte. So raffiniert war das schnauzbärtige Väterchen, aber Dimitri entdeckte es, fing das Bäuerchen ein wie eine wilde Stute, jawohl, mit einem Lasso – ha, welch ein Kerl, der Dimitri Sergejewitsch! – und brachte ihn ins Gefängnis. Heraus kam dabei, daß das schnauzbärtige Väterchen seit einem Jahr Öl abzapfte und es auf dem Markt verkaufte. Man gab Dimitri die Hand, beglückwünschte ihn und nannte ihn einen ›Held der Arbeit‹.
    Genossen, was gibt es Herrlicheres für einen Russen, als ein ›Held der Arbeit‹ zu sein?
    In dieser Nacht war es wieder nötig, die Leitung abzufahren. Dimitri Sergejewitsch zog seine Stiefel an und über die Stiefelhose einen handgestrickten Pullover mit Rollkragen, denn kalt ist es in der Nacht im Gebirge, wenn auch am Tage die Sonne glutete. Er setzte sich in seinen Jeep und fuhr durch das nachtstille Tiflis hinaus zur Pipeline. Sein Vater, Kolka Iwanowitsch Kabanow, der zweite Mann seiner Mutter, war noch wach, sah aus dem Fenster und winkte ihm zu und rief: »Dimitri, bring zweihundert Gramm Wodka mit, wenn du morgen zurückkommst!«
    Und Dimitri Sergejewitsch rief zurück: »Ich vergesse es nicht, Väterchen!«
    (Wobei man wissen muß, daß in Rußland der Wodka nicht nach Flüssigkeitsmaßen, sondern nach Grammgewicht verkauft wird.)
    Gegen zwei Uhr früh war es, als Dimitri seinen Jeep verließ und hinunterstieg in einen Hohlweg, durch den sich die stählerne Schlange der Pipeline zog. Ein böser Ort war das, steinig und mit Dornenhecken bewachsen, und hier hatte es sogar einmal einen Bruch gegeben, weil ein dicker Stein von den Felsen herunterrollte und mit spitzer Kante das Stahlrohr einschlug. So eine Wucht hatte er, oben vom Gipfel kommend. Wie gesagt, eine böse Gegend war's.
    Dimitri stand oben auf dem Pfad und sah hinab auf die im Mondlicht glitzernde Stahlröhre. Den Jeep hatte er zurückgelassen auf der Straße, jenseits des Hügels, denn auf dem Trampelpfad konnte man nicht fahren. Und plötzlich sah er einen Schatten, der durch die Schlucht wanderte, an der Ölleitung entlang, eine große, huschende Fledermaus, die an der Pipeline entlangrannte, dem einzigen von Dornenbüschen freien Weg.
    Dimitri trat zurück in den Schatten der Felsen. Eine Pistole zog er aus der Hosentasche und drückte mit dem Daumen den Sicherungsflügel herum.
    Der Schatten wanderte

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