Begegnung in Tiflis
auf einmal, Söhnchen«, sagte er und drückte ihn aus dem Zimmer. »Sag einmal, wo kommt sie her?«
»Von ihrer Hexe Dunja. Ihr Vater …«
»Wo lebt denn diese Dunja?«
»Ich weiß es nicht. Aber sie ist …«
»Ein merkwürdiges Russisch spricht sie.« Kolka setzte die Teller aufeinander und trug sie zum Spülbecken.
»Hast du schon einmal einen Usbeken sprechen gehört? Oder einen Jakuten? Oder gar einen Kirgisen?« sagte Dimitri.
»Geh schlafen!« Kolka zeigte auf eine andere Tür. »Mein Bett ist noch warm.«
»Ich bin nicht müde, Väterchen. Über Wanda will ich mich mit dir unterhalten.«
»Das hat Zeit, Dimitri.«
»Ich liebe sie, Väterchen! Ich verbrenne, als sei die Sonne in mir.«
»Dummheit ist's, weiter nichts!« Kolka ließ heißes Wasser über die Teller laufen. Dabei dachte er daran, wie Wanda Fjodorowa ins Zimmer kam und es ihm war, als sei sie schon seit ihrer Kindheit bei ihm gewesen.
»Ich werde sie heiraten!« rief Dimitri wild.
»Die Idioten sterben nie aus«, sagte Kolka grob. »Vielleicht ist sie eine Landstreicherin?«
»Und wenn sie in der Gosse geboren wurde, Väterchen – ich liebe sie!« schrie Dimitri.
»Halt den Mund! Du weckst sie auf.« Kolka klapperte mit den Tellern. »Geh ins Bett, du dämlicher Bär. Und in vier Stunden wecke ich dich. Dann gehst du ins Kaufhaus und holst ihr neue Kleider.«
»Die schönsten in ganz Tiflis!« rief Dimitri. »Du sollst sehen, Väterchen, wie ein Engel wird sie aussehen, und die Leute werden auf der Straße stehenbleiben, sich umdrehen und sagen: Nein, daß es so etwas unter den Menschen gibt!«
»O Himmel, leg dich hin. Du hast Fieber.«
Kolka wartete, bis Dimitri aus dem Zimmer gegangen war. Dann spülte er das Geschirr ab, trocknete es, räumte es säuberlich in die Schränke, überzeugte sich, daß Dimitri in festem Schlaf lag und schlich dann nebenan in die Kammer, wo Bettina schlief.
Vor dem Bett stand er, sah das Mädchen in dem weiten Pullover an und musterte das trotzige, im Schlaf zuckende Gesicht.
»Wer bist du?« sagte Kolka Iwanowitsch Kabanow leise, beugte sich vor und zog vorsichtig eine dünne Seidendecke über die ausgestreckte Gestalt. »Himmel, wer bist du, Töchterchen? Warum ist mir, als hätte ich dich schon gesehen mit langen blonden Zöpfen?«
Und er blieb an dem Bett sitzen, über eine Stunde lang, und starrte sie an.
*
Die Begegnung zwischen Irene Brandes und Wolfgang Wolter in Bonn verlief genau so, wie es Jurij Alexandrowitsch Borokin geplant hatte. Er brachte die junge Boxerhündin Anette von der Hardthöhe zu Irenes Appartement, und sie hatte drei Stunden Zeit, sich mit dem Tier anzufreunden, es zu füttern mit rohem Fleisch und zu lernen, wie man einen Hund dieser körperlichen Stärke fest in die Hand nimmt und kommandiert.
»Gut so«, sagte Borokin zufrieden und tätschelte der schnüffelnden Anette den dicken Kopf. »Muß ich wiederholen, was Ihre Aufgabe ist, Irene?«
»Nein, Borokin. Es wird mir nicht schwerfallen, mich in den jungen Oberleutnant zu verlieben.« Irene Brandes sah noch einmal in den Dielenspiegel. Ihre Eleganz war vollkommen. Kühl wirkte sie, aber von einer Kälte, an der man sich die Finger verbrennen konnte. »Und meine Mutter?« fragte sie, als sie sich abwandte.
»Wir halten unser Wort, Irene. Nach Erfüllung dieses Auftrages können Sie Ihre Mutter in Herleshausen abholen. Sie wird im planmäßigen Interzonenzug sitzen.« Borokin stieß die Tür zum Treppenhaus auf.
»Gehen wir. Oberleutnant Wolter wird schon auf dem Dressurplatz sein. Sie haben mit Ihrem Make-up zu lange gebraucht.«
Wie immer hatte Borokin recht. In Sichtweite des Hundedressurplatzes trennte er sich von Irene Brandes und fuhr zurück nach Rolandseck zur sowjetischen Botschaft. Irene lenkte ihren weißen Sportwagen auf den kleinen Parkplatz, nahm Anette von der Hardthöhe straff an die Hand und ging zum Eingang einer Holzbaracke, an deren Fenster ein Mann saß und rauchte. Auf dem Platz tummelten sich die Hunde, sprangen über Holzwände, krochen durch lange Säcke oder mußten sich auf Kommando hinlegen oder ihre langsam gehenden Herren umkreisen. Oberleutnant Wolter stand noch abseits, seinen schönen Schäferhund an der Leine, und sah zu.
Er war später als bestellt gekommen und mußte nun warten, bis einer der Hundelehrer frei wurde. Er hatte seine Mutter noch vom Bahnhof abgeholt, denn Agnes Wolter hatte ihn so lange gebeten, nach Bonn kommen zu dürfen, bis er zusagte. Seit sieben Uhr
Weitere Kostenlose Bücher