Begegnung in Tiflis
Wolter seine ersten Materialien an Borokin. Man traf sich in einem Café am Rheinufer in Köln.
»Was ist es?« fragte Borokin.
»Die Pläne vom Bau eines UKW-Senders nördlich von Fulda an der Zonengrenze. In einem Waldstück. Plan liegt bei. Auch die Frequenzen und die Sendezeiten. Sendebeginn im Herbst. Genau: Am 11. Oktober, nachts 23 Uhr.«
Borokin musterte Wolter mit einem langen Blick. Alles Mißtrauen lag darin, aber Wolter hielt diesem Blick stand und trank ohne das leiseste Beben seiner Hand seine Tasse Kaffee.
»Woher haben Sie die Pläne?« fragte Borokin kalt.
»Ich habe einen Freund in der Bauabteilung, der weiß, daß ich mich für so etwas interessiere. In drei Tagen kann ich Ihnen vielleicht auch das Sendeprogramm der ersten Woche bringen.«
»Danke, Wolter.« Borokin erhob sich und steckte die Pläne in eine schmale Kollegmappe. »Brief, Bild und Kleidung Ihrer Schwester sind übrigens unterwegs von Moskau. Der Kurier trifft morgen früh ein. Ich bringe sie das nächste Mal mit.«
Mit verkniffenen Lippen sah Wolter dem eleganten Russen nach. Er dachte an die Worte General Gehlens, aber er wurde wieder unsicher.
War Bettina doch in den Händen der Sowjets? Woher nahm Borokin seine verfluchte Sicherheit?
Wolter zahlte und ging auch. Im Wagen wartete Irene Brandes.
»Borokin ist eben weggefahren«, sagte sie. »Hat er dir geglaubt?«
»Ich weiß nicht.« Wolter umklammerte das Steuerrad und starrte vor sich auf die Straße. »Um Bettinas willen möchte ich Gott darum bitten.«
*
Der Abflug Dimitri Sergejewitschs war herzerweichend.
Immer wieder umarmte er Kolka und Bettina, küßte sie und mußte gedrängt werden, zur wartenden Maschine zu gehen. Schon zweimal war er durch die Lautsprecher aufgerufen worden: »Genosse Sotowskij bitte zur Maschine! Genosse Sotowskij …«
»Ich kann nicht, Väterchen!« stöhnte Dimitri und umarmte Kolka zum ungezählten Male. Dann zog er Bettina an sich und drückte sie so fest wie ein Bär, der seiner Beute die Rippen zerquetscht.
»Du kannst nicht allein durch die Berge«, stotterte er. »Wanduscha, versprich es mir … warte, bis ich zurückkomme. Laß uns alle zusammen flüchten.«
»Blödsinn!« Kolka stieß seinem Ziehsohn in den Rücken. »Einfacher geht es nicht. Vergiß nicht: Du mußt dich in Beirut verborgen halten. Dort wimmelt es von Agenten.«
»Wann kommt ihr nach?« stöhnte Dimitri und wischte sich die Augen.
»Wer weiß das? Es kann schell gehen, es kann Wochen dauern.«
Über den Lautsprecher tönte die dritte Durchsage über das Flugfeld und die Wartehallen.
»Der Genosse Sotowskij sofort zur Maschine! Wir müssen starten!«
»Geh!« sagte Kolka hart und gab Dimitri noch einen Stoß in den Rücken. »Wer in seinem Leben bekommt solch eine Chance wie du! Gott segne dich, Söhnchen!« Und nach alter russischer Manier schlug Kolka das Kreuz über Dimitris Kopf und wandte sich dann ab.
Mit staksigen Beinen ging Dimitri allein über die betonierte Piste zur wartenden Iljuschin-Maschine. Oben in der Tür stand ein Steward und winkte mit beiden Armen.
»Schnell, Genosse, schnell!«
Dimitri beschleunigte den Schritt. Er rannte die Gangway hinauf, warf seine Tasche dem Steward zu und drehte sich noch einmal um.
»Wanduscha!« schrie er.
»Auf Wiedersehen, Dimitri!« rief Bettina zurück.
»Geh weg!« knurrte Kolka. »Dreh dich um und geh. Er kriegt es fertig und kommt zurück. Ich kenne ihn, er hat ein Herz wie ein Stück Butter in der Sonne.«
Bettina nickte. Sie wandte sich ab und rannte zurück zum Eingang der Wartehalle. Dimitri stand in der Tür und starrte ihr nach.
Sehe ich dich wieder, Wanduscha? dachte er. O Himmel, sehe ich sie wieder?
Eine Faust packte ihn, riß ihn ins Flugzeug. Die schwere Tür schlug zu. Dimitri hieb um sich, aber was half's, er stand in dem halbrunden Leib des Flugzeugs, und die Düsentriebwerke heulten auf, ein Zittern ging durch den riesigen Metallkörper. Die Maschine rollte zur Startbahn.
Dimitri stürzte an das nächste Fenster und sah hinaus. Der Flugplatz rollte unter ihm weg. Er sah nur Feld, Piste, Maulbeerschonungen, in der Ferne die Berge des Kaukasus. Dann schwenkte die Maschine zur Startbahn ein, und ganz fern, klein wie ein Spielzeughaus, glitzerte die weiße Fassade der Halle zu ihm herüber.
»Wanduscha …«, sagte er leise. »Ich weiß nicht, was ich tue, wenn ich sie nicht wiedersehe.«
»Nehmen Sie Platz, Genosse«, sagte der Chefsteward, der Dimitri auch ins Flugzeug
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