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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gerissen hatte. »Platz 19, dort am Fenster. Und schnallen Sie sich an. Sie fliegen wohl zum erstenmal?«
    Dimitri ging stumm zu seinem Platz, setzte sich und schnallte sich an. Das Land neben ihm raste vorbei … jetzt glitt es weg … der Himmel kam näher, die Wolken senkten sich, die Sonne wurde zu einem großen Ball … Und dann lag nach einer Schwenkung Tiflis unter ihm, die weiße Stadt zwischen den Weinbergen, die Stadt der Minarette und modernen Staatsbauten, die Stadt, von der einmal ein Dichter sagte, hier sei die Schönheit zu Stein geworden.
    Die Boulevards, die Altstadt, die Hügel Mtatsminda und Sololaki, Metechi mit der uralten Kirche, der Leninplatz, das Haus der georgischen Regierung, das blaue Kloster, das Pantheon, der Botanische Garten, die Oper und die wilde, ungebändigte Kura, der Fluß, in dem er als kleiner Junge schwimmen lernte.
    Heimat. Herrliches Grusinien.
    Ich nehme Abschied. Für immer.
    Aber mein Herz bleibt zurück. Es gibt keinen Russen, der seine Heimat verläßt und sein Herz mitnimmt. Das Herz bleibt bei Mütterchen Rußland. Man kann es nicht verpflanzen.
    Dimitri wandte sich ab. Er riß sich los von dem Bild der weißen Stadt und lehnte sich zurück.
    »Fruchtsaft, Genosse?« fragte der Steward und balancierte ein Tablett vor Dimitris Augen.
    Er nickte und starrte an die gewölbte Kabinendecke.
    Und seit seinem neunzehnten Lebensjahr empfand er wieder den merkwürdigen Drang in der Brust, laut weinen zu müssen. Zuletzt war's beim Tode der Mutter gewesen, und jetzt kam es wieder. Er schluckte es hinunter, er trank drei Gläser Fruchtsaft, und er nahm eine Zeitung, um sein Gesicht dahinter zu verbergen.
    Lebewohl, Tiflis. Von jetzt ab wirst du nur noch in meinen Träumen sein …
    Langsam kam auch Kolka Iwanowitsch zurück zum Flughafengebäude und hakte sich bei Bettina unter. Lange hatte er dem Flugzeug nachgeblickt, so lange, bis es in den Wolken verschwand. Und wie Dimitri hatte er bei sich gedacht: Sehen wir uns wieder, Söhnchen? Gelingt uns der Weg zu einem neuen Leben?
    »Er ist weg, Vater«, sagte Bettina leise, und plötzlich sprach sie deutsch.
    Kolka nickte. »Ja, mein Kleines.«
    »Und wann fahren wir?«
    »Übermorgen … vielleicht …« Kolka wischte sich über die Augen. Wirklich, Tränen standen ihm in den Augenwinkeln. »Wir dürfen nichts überstürzen, Kleines. Ich habe es Dimitri nicht gesagt, er wäre sonst nie geflogen: Die türkische Grenze ist abgeriegelt. Mit Suchhunden streifen sie umher. Es hat keinen Sinn, dort den Übergang zu versuchen. Einen weiten Umweg müssen wir machen … hinunter zum Kaspischen Meer.«
    Bettina senkte den Kopf.
    Vor ihnen, das wußte sie nun, lag die Qual ungezählter höllischer Stunden.
    *
    Das Material, das Wolfgang Wolter in dem kleinen Café am Rheinufer Jurij Alexandrowitsch Borokin übergeben hatte, wurde von Spezialisten des sowjetischen Nachrichtendienstes genau überprüft. Für die Auswertung westdeutscher Meldungen gab es zwei Zentralstellen: Die eine saß in Ost-Berlin, in Karlshorst, im Hauptquartier der Roten Armee; die zweite residierte in Prag, in einem unauffälligen, alten, hochgiebeligen Haus im Schatten des Hradschins, der alten, wundervollen Prager Königsburg.
    Wolters Pläne von einem starken UKW-Sender wurden nach Prag geschickt.
    Dort rechnete man alles durch, Radiotechniker prüften die Zeichnungen, und man kam zu dem Ergebnis, daß gleich die erste Lieferung des deutschen Oberleutnants eine kleine Sensation sei.
    Borokin übernahm es, Wolfgang Wolter von diesem Erfolg persönlich zu unterrichten. Sie trafen sich wieder am Rheinufer wie zwei alte Freunde, die sich zufällig sehen. Keinem fiel auf, daß zwei Arbeiter das Eisengitter am Rheinquai mit einer Antirostfarbe strichen und ein Straßenkehrer dabei war, Blätter und weggeworfenes Papier von der Promenade zu kehren. Und während Borokin und Wolter langsam am Ufer hin und her gingen, klickten unter den Arbeitskitteln die Mikrokameras und fotografierten jede Phase des Agententreffs.
    »Gratuliere«, sagte Borokin freundlich und bot Wolter eine seiner türkischen Zigaretten an. »Ihr Material hat gefallen. Man ist zufrieden. Durch Ihre Pläne sind wir in der Lage, Störsender in unmittelbarer Nähe zu installieren.«
    Wolfgang Wolter nickte stumm. Er blieb an dem Eisengitter zum Rhein stehen, nicht weit weg von den emsig streichenden Arbeitern.
    »Sie haben mir versprochen, Nachricht von Bettina zu bringen«, sagte Wolfgang Wolter endlich nach

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