Begegnung in Tiflis
Ruhe mehr. Das Leben hatte nur geschlafen; nun wachte es auf und war stärker als zuvor.
»Tut es dir leid, Vater?« fragte Bettina, als sie den Alten sinnend an der Straßenecke stehen sah. Die letzte Ecke. Hinter ihr begann das neue Leben. Von dort war das Haus des Kolka Kabanow nicht mehr zu sehen.
»Nein, mein Kleines.« Kolka legte den Arm um Bettinas Schulter. »Ich will mich an alles erinnern und es dort zurücklassen. Wir können nicht die schwere Last eines kranken Herzens mitschleppen. Es muß alles leicht in uns sein.«
Und so stand er da, sah auf sein Haus, und die Jahre zogen an ihm vorüber und verschwanden durch die Haustür.
»Komm!« sagte Kolka dann und wandte sich mit einem Ruck ab. »Nun ist's vorbei! Nun bin ich leicht. Wie ein Adler fühle ich mich.«
Und er blickte nicht mehr zurück, als sie im Bus saßen und nun auch Tiflis verließen.
Bei dem Bauern holten sie den Wagen ab, schirrten die Pferdchen an und fuhren auf der breiten Straße nach Baku davon.
Ein Väterchen mit seinem schönen Töchterchen. Ein Bauer, der weiß der Himmel wohin wollte … zu einer Hochzeit, zu einer Taufe, zu einer kranken Tante. Es war eine harmlose Fahrt.
Von Tiflis bis Baku sind es fast 600 Werst.
Mit einem Schnellzug ist es ein Vergnügen, Freunde. Mit dem Flugzeug ist's eine knappe Stunde. Wer aber mit einem alten, klapprigen und schwankenden Bauernwagen über die staubige Straße ziehen muß, davor zwei Pferdchen, die sich ausruhen wollen, die fressen müssen und trinken, der muß Geduld haben, einen großen Glauben an die Natur und ein festes Sitzfleisch. Natürlich hätte Kolka mit dem Flugzeug fliegen können, oder mit dem Zug hätte er reisen können – aber im Flugzeug verlangte man den Paß, und auch im Zug gab es manchmal Paßkontrollen. So blieb also, da Bettina ja keine Personalpapiere besaß, nur der Weg über die Landstraße und die Tortur der langen Reise.
Am Tage legten sie 30 Werst zurück; wenn's ein guter Tag war und die Pferdchen munter waren, auch 40 Werst. Nachts schliefen sie bei Bauern am Wege im Heu, erzählten, von der Urgroßmutter, die am Baikalsee vor ihrem Tode noch einmal alle sehen wolle – ein blödsinniger Gedanke, aber mache einer was gegen alte Mütterchen. Beim Morgengrauen zogen sie weiter, immer den Kleinen Kaukasus zur Rechten, durch Sonne und Staub, vorbei an der Ölleitung und an stinkenden Raffinerien.
Sechzehn Tage waren sie auf der Landstraße. Obwohl sie sich an den Brunnen und Trögen wuschen, sahen sie bald wie aus Mehl geknetet aus. Vor allem die Pferdchen wurden zu Albinos, so staubig waren sie.
Am siebzehnten Tag sahen sie das Meer. Das Kaspische Meer. Bei Alyatsskaja war es, und Kolka kam sich vor wie ein Fisch, der auf Land gelegen hatte und endlich wieder das Wasser riecht, bevor er völlig eingeht.
»Das Meer!« sagte er, sprang vom Bock, umarmte Bettina und küßte die Pferdchen auf die trockenen Nüstern. »Das Meer! Wir haben es bald geschafft!«
Auf der Höhe rasteten sie, dann verließen sie die Straße nach Baku und wandten sich auf kleinen Pfaden südwärts, der Halbinsel von Kysyl-Agatsch entgegen. Hier, so hoffte Kolka, würde es möglich sein, Wagen und Pferdchen gegen ein Boot einzutauschen.
Immer wieder hielt er an und zeigte Bettina auf der Karte ihren geplanten Weg. »Von der Halbinsel fahren wir mit einem Boot entlang der Küste bis Asstara. Das liegt schon in Persien. Dort gehen wir an Land und sind frei! So einfach ist das, wenn man ein bißchen denken kann.«
Aber vom Denken allein bekommt man noch kein Boot, Freunde. Das erkannte auch Kolka Iwanowitsch, als er am achtzehnten Tag bei Saljany die Küste entlangfuhr und nach einem seetüchtigen Fischerboot Ausschau hielt.
Boote lagen genug am Strand oder schaukelten an eisernen Bojen, aber entweder waren sie zu groß, oder sie waren so miserabel, daß Kolka ein ums andere Mal sagte: »Sind wir Selbstmörder, Bettina? Nein, es muß ein kleines, starkes, hochwandiges Boot sein, mit einem guten Segel und langen Rudern. So lange suchen wir.«
Es war fast schon Abend, als sie das Boot sahen, das sie suchten. An Land gezogen lag es in der Sonne, braun und gut geteert, mit einem ungeflickten Segel und lackiertem Inneren. Ein wunderbares Boot, und Kolka küßte seine Tochter vor Freude auf den Mund. »Das ist es!« sagte er.
»Aber wenn der Besitzer es nicht verkaufen will?« wandte Bettina ein.
»Will! Wer soll hier wollen?! Ich will das Boot, genügt das nicht?«
Kolka nahm
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