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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Hinein ins Meer! Gib dem Pferdchen den Absatz, peitsche es … hoj … hoj … dawai – dawai … zieht, ihr Lieben … zieht … und noch einmal … hoj … es bewegt sich … es bewegt sich … es gleitet ins Meer … die Peitsche, Wanduscha … die Peitsche … dawai … dawai … ins Meer … in die Freiheit … zieht … zieht …«
    Und langsam, Zentimeter um Zentimeter, glitt das Boot ins Wasser. Auf dem Pferd saß Bettina wie ein Tatarin und schrie dem anderen Pferdchen zu. Um sie herum spritzten die Wellen auf und das Meer stieg an ihren Hüften empor. In die Freiheit! Dawai! Dawai!
    Es ist gar nicht so einfach, ein großes Boot zu Wasser zu lassen, wenn man davon keine Ahnung hat. Kolka Iwanowitsch hatte zwar schon viel in seinem Leben durchgemacht, er kannte Sibirien und die kasakstanischen Steppen, er kannte den Kaukasus und die gelben Fluten des Terek, er hatte Fische mit dem Speer erlegt und Kamelstuten gemolken – aber in einem richtigen Fischerboot hatte er noch nicht gesessen, wenn er auch behauptete, er könne das.
    Dawai … die Pferdchen zogen den Kahn vom Strand weg ins Wasser, bis zu den Hälsen stampften sie im seichten Sandgrund des Meeres und blieben dann stehen, denn auch ein Pferd ersäuft nicht freiwillig. Das Boot schwamm wohl, schaukelte hin und her, Kolka knüpfte die Leinen los und schrie Bettina zu, sie solle ans Ufer zurückreiten … aber damit ist es ja nicht getan, Genossen. Ein Boot muß sich auch bewegen, nicht auf und ab, das tut ein schwimmendes Papier auch, sondern vorwärts, dem Ziel entgegen, weg vom Ufer Rußlands und hinüber in die Freiheit Persiens.
    Hier saß nun Kolka Iwanowitsch hilflos vor einem umgeklappten Mastbaum, vor einem Berg zusammengeraffter Segel, vor Rollen voller Taue und verknoteter Takelage, sah mit gerunzelter Stirn auf das ihn verwirrende Chaos und überlegte, was zuerst zu machen sei.
    Am Ufer band Bettina die Pferdchen an den Karren, suchte aus dem zurückbleibenden Gepäck noch zwei kleine Leinenbeutel heraus – es waren Kartons mit Seife, wie sich später herausstellte; sogar französische Seife –, warf dann ihre Kleider ab, band sie zu einem Bündel zusammen, legte es auf den Nacken und schwamm, nur in Höschen und Büstenhalter, zum Boot. Es war ein schöner Anblick, Freunde, und Kolka seufzte und war unendlich stolz, eine so schöne Tochter zu haben.
    »Nun schwimmen wir!« sagte Kolka, als er Bettina ins Boot gezogen, abfrottiert und umarmt hatte. Sie zog wieder ihre verstaubte Reisekleidung an und band das nasse Haar mit einem Kopftuch zusammen. »Aber das ist eine verteufelte Takelage. Bei den Fischern auf dem Don war das anders. Unkomplizierter. Die hatten einen Pfahl in der Mitte des Bootes, ein Segel daran, der Wind blies hinein – und hui, ging's los! Das hier ist ja eine nautische Wissenschaft.«
    »Wir haben den Besitzer des Bootes ja noch an Bord, Vater«, sagte Bettina. »Er wird uns helfen.«
    »Den können wir doch nicht mitnehmen?«
    »Warum nicht?«
    »Nach Persien?«
    »Nur so lange, bis er uns beigebracht hat, wie man dieses Boot lenkt. Dann segeln wir nahe an die Küste zurück und setzen ihn wieder ab.«
    Bewundernd sah Kolka Iwanowitsch seine Tochter an. »Ein vorzüglicher Gedanke, Töchterchen«, sagte er. »So wird's gemacht.« Er warf Bettina einen Eimer zu und klatschte in die Hände. »Füll ihn mit Meerwasser, und dann her zu mir. Wir wollen das schlafende Väterchen wecken.«
    Man wird Verständnis dafür haben, daß Daniel Alexandrowitsch Agafonow nicht sehr begeistert, ja sogar sehr ungehalten war, als er nach einigen Wassergüssen aus der Ohnmacht erwachte, sich auf dem Kaspischen Meer schwimmend fand und in der Gewalt eines Menschen, den er vom ersten Blick an nicht hatte leiden können. Er räkelte sich, hieb mit den Fäusten gegen die Bordwand, brüllte unflätige Worte, benahm sich ausgesprochen unfein und tobte seine ohnmächtige Wut an einer Kabelrolle aus, die ihm am nächsten lag. Er bearbeitete sie mit Tritten und bespuckte sie.
    »Und nun, Brüderchen«, sagte Kolka gemütlich, als Agafonow keuchend auf der Ruderbank saß und trübsinnig hinüber zum Ufer blickte, »sei ein guter Mensch und bring Brüderchen Kolka bei, wie man segelt.«
    »Eine Scheiße werde ich!« schrie der unhöfliche Agafonow. »Ersauft wie die Ratten!«
    »Welch ein böser Mensch!« Kolka hob den Blick zum Himmel. »Daß Gott solche Charaktere duldet.« Er ging hinüber zur Ruderbank, tippte Agafonow auf die Schulter, und

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