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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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euch um, Genossen. Habt ihr einen Smoking bei euch? Hier hält man viel auf Aussehen.«
    Es zeigte sich, daß niemand einen Smoking hatte. Zu Ölgesprächen war man nach Beirut gekommen, nicht um Smokings zu tragen.
    Schejin seufzte. Immer das alte Lied! Die Genossen in Moskau und erst in der Provinz – wozu er Tiflis zählte – haben noch nicht den Blick für das Notwendige. Himmel ja, Smokingtragen ist Dekadenz, aber ein wenig Konzessionen muß man machen, um mit der anderen Welt an einem Tisch zu sitzen.
    Man kann nicht mit den Fingern essen und die Knochen übers Tischtuch spucken, während die anderen mit vergoldetem Besteck dinieren. So etwas fällt auf, Genossen. Unangenehm.
    »Ihr werdet in einer Stunde alle Smokings bekommen!« sagte Schejin und rückte an seiner dicken Brille. »Pawlow, er wird gleich geholt, wird Maß nehmen, und dann kommen die Smokings von einem Verleiher. Für Beschädigungen und Flecke muß jeder von Ihnen aufkommen, Genossen.«
    Dann war Dimitri allein, stellte den Koffer unausgepackt in die Ecke neben dem breiten französischen Bett – ein Beweis mehr von der Lebenskunst in Beirut! – und trat hinaus auf den Balkon.
    Vor ihm lag die Uferpromenade, das Meer, der Hafen mit den weißen Luxusjachten. Ein Gewimmel von Menschen schob sich unten auf der Straße vorüber. Der Lärm von Stimmen und Geräuschen umwehte ihn wie eine Wolke aus Riesenheuschrecken.
    Heute noch? dachte Dimitri und umklammerte das zierliche Balkongitter. Soll ich heute noch heimatlos werden? Oder warte ich bis morgen? Mache ich erst eine Sitzung des Kongresses mit, verbreite Harmlosigkeit um mich, Vertrauen … und morgen, ja morgen dann gehe ich zur deutschen Botschaft und bitte um Asyl.
    Er sah weit übers Meer, das in der Abendsonne wie geschmolzenes Gold leuchtete.
    Wo liegt Deutschland, dachte er. Dort ganz weit hinten … ein Land wie im Nebel. Dort liegt auch das Grab meines Vaters. Es wird kalt sein in Deutschland. Die Menschen werden einen ansehen und sagen: Aha, ein Russe! Ein Iwan! Und die Alten werden an die Schlachten denken, an die Rollbahn, an die Sümpfe, an die Wälder, und die Jungen werden fragen: Sag mal, Iwan, ist bei euch wirklich alles so geknechtet? Habt ihr wirklich nichts zu fressen? Dürft ihr wirklich nicht sagen, was ihr wollt? – Und er würde ihnen antworten: Stimmt es, daß ihr alle nur wegen des Profits arbeitet? Erzählt mal, warum ihr alle revanchistisch seid und daran denkt, Rußland noch einmal zu überfallen.
    Und sie würden sich ansehen, der Russe und die alten und die jungen Deutschen, sprachlos und hilflos, und jeder würde denken: Hier gibt es keine Brücke mehr.
    O Freunde, dabei wollen wir doch alle Brüder sein, nicht wahr?
    Um sieben Uhr abends wurde der Smoking abgegeben. Bei Dimitri ging es schnell. Das kleine, süße Zimmermädchen machte einen Knicks und legte den Anzug auf das breite Bett. Anders war's bei Swinzow, dem alternden Bock aus Baku. Er kniff dem Zimmermädchen in die Brust, umarmte es und verlangte, daß sie ihm die Hosen des Smokings anprobierte. Nur nach Verabreichung einer Ohrfeige konnte sich das Zimmermädchen aus kaukasischer Wildheit befreien und flüchtete aus dem Zimmer des liebestollen Swinzow.
    Gehorsam zog Dimitri seinen Smoking an. Er wußte, daß am Ausgang des Hotels zwei unauffällige Genossen saßen und aufmerksam wurden, wenn er ohne Smoking durch die Hotelhalle gehen würde.
    Wie lächerlich ist das alles, dachte Dimitri bitter. In einem Smoking, wie zu einem Fest gehend, werde ich in einer Stunde in der deutschen Botschaft um Asyl bitten. Sie werden mich anstarren wie einen Blöden, und vielleicht haben sie auch recht damit.
    Um 20 Uhr trafen sich die sechs Wissenschaftler aus Tiflis in der großen Halle des Hotels ›Arab‹. Genosse Schejin war auch schon da, er trug einen weißen, wundervoll sitzenden Smoking und sah aus wie ein Kapitalist. Er benahm sich auch so. Er verzichtete auf alle ordinären Worte, die ihm auf der Zunge lagen, als er den Aufmarsch der schlecht sitzenden, geliehenen Smokings sah, und befleißigte sich eines weißrussischen Russisch; eine Sprache, die so vornehm ist wie die Haut einer Großfürstin.
    »Meine Lieben!« sagte er. Tatsächlich, er sagte: Meine Lieben! »Sie werden die Gelegenheit haben, dem Nobelpreisträger Bunche vorgestellt zu werden. Mit uns tagt auch ein Ausschuß der UNO im Hotel. Sie kennen Ralf Bunche?«
    Dimitri kannte ihn, die anderen fünf nicht. Genosse Schejin hob den Blick zur

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