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Begegnungen (Das Kleeblatt)

Begegnungen (Das Kleeblatt)

Titel: Begegnungen (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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Ergebnis derart extrem, dass die Opfer einer solchen Behandlung irgendwann jeglichen Selbsterhaltungstrieb aufgaben und weder vor Gewalt noch vor Mord zurückschreckten. Psychomutation nannten Forscher diese erzwungene Veränderung der Persönlichkeit, die er selber praktiziert hatte. Er hatte dafür gesorgt, dass sich die Psyche der Männer, seiner Jungs, in einem Ausnahmezustand befand, bevor die eigentliche Gehirnwäsche beginnen konnte. Er hatte Menschen an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben – durch Folter oder massiven Drill. Der Schock war dann oft so massiv, dass das Gehirn die Erlebnisse nicht verarbeitete und praktisch in einer Endlosschleife gefangen blieb. Dabei konnte eine schlagartige Bewusstseinsveränderung sogar ganz ohne Fremdeinwirkung auftreten. Wurde ein Mensch in dieser Situation zusätzlich manipuliert, galt der Effekt als einer der zerstörerischsten, die in der Psychologie bekannt waren – die Persönlichkeitsstruktur löste sich innerhalb von Minuten komplett auf.
    Viele seiner Jungs waren nicht ohne Grund über Leichen gegangen, um einen Auftrag erfolgreich zu Ende zu bringen. Sie konnten nicht anders.

24. Kapitel
     
    Seine Augen weiteten sich und verharrten wie gebannt auf der zarten Gestalt, die am oberen Treppenabsatz auftauchte. In atemloses Staunen versunken verfolgte er, wie Susanne mit ihrem Sohn im Arm die breite Treppe herab schritt. Wie eine Marionette an ihren Fäden erhob er sich, ohne den Blick von den beiden wenden zu können. Gespanntes Schweigen und freudige Erwartung hingen zwischen ihnen, während die Sekunden verstrichen und seine Empfindungen zur Erinnerung werden ließen. Zu einer Erinnerung, die sich tief und unauslöschlich in sein Gedächtnis brannte. Feine Schweißperlen traten auf die Stirn des Mannes, weil es ihn wahrlich alle Kraft und Beherrschung kostete, sich auf den Beinen zu halten.
    Und Suse erging es kaum besser.
    Sie hatte an diesem Morgen eine halbe Ewigkeit vor dem Spiegel gestanden und kritisch ein Kleidungsstück nach dem anderen aus dem Schrank gezerrt und peinlich genau unter die Lupe genommen. Nach der Anprobe von einem guten Dutzend Kleidern, Hosenanzügen und Röcken hatte sie sich schließlich für ein schwarzes , kniefreies Samtkleid mit transparenten Ärmeln und einem ebensolchen Einsatz am Dekolleté entschieden.
    Sie hatte keine Ahnung gehabt, in welchem Aufzug der Hausherr sie erwarten würd e. Aber da sie um seinen guten – Was für ein Quatsch! – um seinen außergewöhnlich exzellenten Geschmack wusste, fand sie ihr Kleid trotz seiner Schlichtheit geeignet, mit Matthias Emanuel Clausing das Weihnachtsfest zu begehen. Sie kam sich vor wie ein Schulmädchen auf dem Weg zu seinem ersten Rendezvous, unsicher, nervös und unendlich glücklich. Dabei war sie doch überzeugt, dass der anschmiegsame Stoff des Kleides ihre nach der Entbindung wieder schlanke Figur optimal zur Geltung brachte. Sogar ihre Frisur schien ihr heute gelungen zu sein, nachdem sie ihre langen, blonden Haare zu einem Französischen Zopf geflochten und mit einem schwarzen Samtband zusammengefasst hatte. Einzelne Strähnen kringelten sich verspielt um ihre Schläfen und betonten die feinen Gesichtszüge, die sie mit etwas Rouge und Tusche betont hatte.
    Sie seufzte voll Wehmut, als sie sich daran erinnerte, wie Matt’n ihr an Bord der „Heinrich“ regelrecht verboten hatte, Make-up aufzulegen. Ob es ihm heute gefallen würde?
    Ach, zur Hölle – da gehörte er zweifellos hin – mit diesem verteufelten Matthias Clausing, Kapitän zur See, Doktoringenieur, Emanuel wie auch immer. Warum legte sie überhaupt so viel Wert auf seine Meinung? Eigentlich sollte es ihr vollkommen egal sein, ob ihm ihre Aufmachung zusagte oder nicht.
    S ie legte ihr Baby in die von Hand gefertigte, alte Wiege mit den filigranen Schnitzereien und verschnörkelten Mustern, ein Geschenk von Matthias, das er wer weiß wo aufgetrieben hatte. Als sie ihm dann gegenüberstand, spiegelte sich auf ihrem Gesicht Bewunderung für die überlegene Eleganz dieses Mannes wider. Seine arrogante Haltung und die Aura von Macht, die ihn umgab, konnten sie schon lange nicht mehr einschüchtern. Und manchmal, wie in gerade diesem Augenblick, erschien er ihr menschlicher denn je, von überirdischem Äußeren zwar, dennoch voll pulsierenden Lebens.
    Als hätte er nie etwas anderes getragen, bewegte er sich selbstsich er in seinem edlen Anzug. Jacke und Hose waren aus kobaltblauem Tuch, die Weste

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