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Begegnungen (Das Kleeblatt)

Begegnungen (Das Kleeblatt)

Titel: Begegnungen (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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ihre Puppe fest an die Brust gedrückt, einen Schritt auf Alain zu. „Du bist ganz schön lieb. Und ich mag es, wie du sprichst.“
    „Ich mag dich auch, Cat.“ Unschlüssig drehte Alain den Brief zwischen den langen, schlanken Fingern. „Wann wird deine Mama … Ich würde gern auf sie warten und ihr den Brief geben, damit ich weiß …“
    Er beobachte mit Besorgnis, wie Catherine die Lippen fest a ufeinanderpresste und ihre Augen erschrocken blickten.
    „ Das darfst du aber nicht“, wisperte sie ängstlich.
    „Warum sagst du mir nicht …“
    „Nein, du sollst nicht auf sie warten! Maman möchte das nicht. Und sie wird bestimmt schimpfen oder … oder traurig sein, weil du hier bist. Und dann muss sie wieder weinen.“
    Ehe er es sich versah, hatte sich das Mädchen umgedreht und war aus der Hütte gerannt.
    Alain seufzte tief und vergrub sein Gesicht in den Händen. Wie hatte Beate das Mädchen dazu gebracht, jeder konkreten Frage nach ihrer Mutter auszuweichen? Er konnte sich ums Verrecken nicht erklären, was hier vor sich ging. Und was sollte das wirre Gerede von toten Babys und Tränen, das anklagende Schweigen, die misstrauischen Blicke?
    Er war nicht mehr in der Lage , auch bloß einen klaren Gedanken zu fassen. Nicht ein Wort hatte er verstanden und die Fragen rasten wie kollidierende Autos durch sein Hirn, wo sie nichts als heilloses Chaos hinterließen.
    Aus welchem Grund hielt sich Beate hier auf? Und wieso war sie jetzt nicht da, sondern ließ ihr Kind allein? Was wollte Beate in dieser verfluchten Wildnis? Sie sollte genauso wenig hier sein wie dieses zarte Ding – ihr Töchterchen mit den türkisfarbenen Augen.
    Als ihm wieder das Bild der dicken Afrikanerin vor Augen erschien, wie sie das Mädchen von sich gestoßen hatte, stieg eiskalter Zorn in ihm auf. Catherine hatte diese unwürdige Behandlung mit einer Selbstverständlichkeit hingenommen, als wäre sie daran gewöhnt. Ohne Protest ertrug sie die Grobheiten, als gehörten sie zu ihrem Alltag. Wieso ließ Beate zu, dass ihrer Tochter so etwas angetan wurde?
    Verdammt, Beate, warum bist du nicht hier, um dein Mädchen vor herzlosen Menschen zu beschützen? Wo, zum Teufel, steckst du?
    Sein Puls begann zu rasen. Noch immer hielt er den Brief in seinen zitternden Händen. Er glaubte nicht, dass es Sinn machen würde, auf Beate zu warten. Doch er musste ihre Reaktion sehen, wenn sie den Umschlag öffnete und die Kopien des Vaterschaftstestes und Testamentes von Pierre las. Für diesen einen Moment hatte er sein Leben in Paris hinter sich gelassen, hatte er seine Freunde und Arbeit aufgegeben und sich auf eine Reise um die halbe Erde gemacht.
    Beate Schenke musste endlich erfahren, wo ihr Zuhause war.
     
    Ein Schrei zerriss die Ruhe. Hoch und schrill gellte er durch die stickig heiße Luft bis an sein Ohr. Sekundenlang.
    Dann herrschte Stille. Eine unheimliche Stille.
    Totenstille.
    Blitzschnell sprang er auf und eilte zur Tür. Er achtete nicht auf das Schwindelgefühl, welches ihn für einen Moment das Gleichgewicht verlieren und gegen den Tisch taumeln ließ. Halt suchend lehnte er sich an den Türrahmen. Seine Augen spähten angestrengt ins Freie. Die Sonne blendete ihn und verhinderte, dass er irgendetwas erkennen konnte. Schützend hob er die flache Hand an die Stirn. Der staubige Platz lag wie ausgestorben vor ihm. Auch hinter den leeren Fensterhöhlen und Türen der anderen Hütten regte sich nichts.
    K onnte es sein, dass niemand außer ihm diesen grauenvollen Schrei gehört hatte? Wo waren sie alle, die schaulustigen Kinder, die geldgierigen Greise und gleichgültigen Frauen? Wohin hatten sie sich mit einem Mal verkrochen?
    Er hastete zurück in die Hütte. Seine Augen irrten durch den Raum auf der Suche nach einem Platz für den Brief, wo dieser vor unbefugten Blicken sicher sein würde. Aber wen sollte der Inhalt schon interessieren? Die Eingeborenen verstanden kein Französisch. Er hegte sogar Zweifel daran, ob sie überhaupt lesen konnten. Sein Blick fiel auf ein in Leder gebundenes dickes Heft, das ziemlich unpassend zwischen dem Kochgeschirr steckte. Genau danach hatte er gesucht – Beates Tagebuch!
    Sekunden später rannte er in die Richtung, aus der er den Schrei vernommen hatte. Angestrengt horchte er auf jedes Geräusch.
    Gott , sag mir, wo sie ist! Hilf mir, nur dieses eine Mal, bitte! Lass mich Beas Engelchen finden, bevor es zu spät ist. Lass nicht zu, dass ihr etwas passiert ist, das ich hätte verhindern

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