Begegnungen (Das Kleeblatt)
ihren Blick und bemerkte, dass er sie unbewusst zu Fäusten geballt hatte, sodass seine Knöchel weiß hervortraten. Beate schluckte krampfhaft und wankte kaum merklich ein Stück nach hinten, bis die Wand ihren weiteren Rückzug vereitelte. Er konnte nicht glauben, dass sie Angst vor ihm hatte.
„Der Arzt behauptet, über Catherine hätte ein tüchtiger Schutzengel gewacht. Glücklicherweise war ich mit dem Wagen schnell hier in der Stadt .“ Er lachte voll Bitterkeit und schüttelte den Kopf. „Wenn man diesen Dreckhaufen Stadt nennen kann. Wir können von Glück reden, dass der Arzt sofort das richtige Gegengift parat hatte. Manchmal geht eben nichts über …“
Er winkte entnervt ab. Das hatte sie nicht zu interessieren. Sie sollte sich nicht verpflichtet fühlen und ihm dankbar sein für das, was er für Catherine getan hatte. Für seine Tochter. Das Bündel Scheine, mit dem er vor den Nasen der Dorfbewohner gewedelt hatte, war lediglich ein Bruchteil dessen gewesen, was er dem gierigen Arzt gezahlt hatte, damit der Cat überhaupt nur untersuchte. Kein Einheimischer würde je in seinem Leben die Summe aufbringen können, die der Doktor mit dem unaussprechlichen Namen für Cats stationäre Aufnahme von ihm verlangte. Aber das tat nichts zur Sache. Geld hatte nie eine Rolle für Alain Germeaux gespielt. Für das Leben und die Gesundheit seiner kleinen Tochter würde ihm nie etwas zu teuer sein.
„In drei, spätestens vier Tagen wird sie reisefähig sein, hat mir der Arzt versichert.“
„Reisefähig?“, wiederholte Beate ungläubig und sprach dabei jeden Buchstaben einzeln aus, als hätte sie nicht richtig gehört.
„Du verstehst mich sehr gut. Oder hast du allen Ernstes geglaubt, ich würde euch noch länger hier lassen?“
„ Aber das … Alain …“ Sie grub ihre Zähne in die Unterlippe. Ihre Augen irrten verzweifelt umher, bemüht vor allem Alains zornigem Blick auszuweichen.
Er wusste, in diesem Moment zählte sie langsam bis drei oder bis zehn und, wenn es sein musste, auch bis hundert, um unerwünschte Emotionen zu unterdrücken. So zumindest hatte sie ihm eines Nachts auf seine diesbezügliche Frage geantwortet, weil er sie insgeheim dafür bewundert hatte, wie sie ihre Gefühle scheinbar mühelos unter Kontrolle behielt, während er dagegen sie bis zur Weißglut zu reizen versuchte.
Damals, als ihre Welt noch in Ordnung schien.
„Können wir draußen … miteinander reden?“ Sie verstummte, weil ihre Stimme zu zittern begann. Er hatte verstanden, was sie wollte. Mit ihm reden war gleichbedeutend damit, die alten Wunden aufzureißen und bluten zu lassen, damit sie hoffentlich irgendwann und endlich heilen konnten. Vergebung zu suchen oder vielleicht auch nur Verständnis.
„Aber sicher doch.“
Mit einem einzigen Schritt seiner langen Beine war er bei ihr. Instinktiv drängte sie sich noch dichter an die Wand, um ihm Platz zu machen. Er biss die Zähne zusammen, als er ihre verkrampfte Körperhaltung bemerkte. Zur Hölle! Er hatte sie nicht angebrüllt, er hatte sie nicht gepackt und geschüttelt, wie er es vorgehabt hatte, dennoch verging sie fast vor Angst! Es war für ihn wie ein Schlag ins Genick. Er betäubte ihn für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er ihm das Bewusstsein raubte. Er hatte geglaubt, auf alles gefasst gewesen zu sein.
Was für ein Narr er doch war! Wie hätte er mit dem Horror rechnen können, der ihn hier erwartete? Diese übergroße Angst allerdings, die Beate zeigte, entsetzte ihn.
Warum stellst du dich so an, Mädchen? Was soll dieses Theater? Glaubst du etwa, dass ich dir etwas antun würde oder … Was weiß denn ich, was sie von mir erwartet! Ich verstehe es nicht!
Er musterte sie grimmig. Noch bevor er den Mund öffnen konnte, zuckte er zurück. Der panische Ausdruck in ihren Augen verriet sie. Sie befürchtete allen Ernstes, er könnte ihr Gewalt antun, sie schlagen oder möglicherweise auch bloß berühren.
„Lass mich erst Katrin begrüßen“, flüsterte sie. „Bitte.“
Bildete er sich das lediglich ein oder hatte er ein erleichtertes Aufatmen gehört, als sie endlich aus seiner Reichweite war? Er hatte sie nie geschlagen. Und er würde, verdammt noch mal, nicht ausgerechnet jetzt damit beginnen! Das musste sie doch wissen! Unmöglich, dass sie vergessen konnte, wie sie sich geliebt und was sie füreinander empfunden hatten. Sie würde es ihm erklären. Sie würde ihm eine ganze Menge erklären müssen. Auf eine Frage zusätzlich kam es
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