Begegnungen (Das Kleeblatt)
inzwischen nicht mehr an.
Vor Wut schnaubend verließ er das Krankenzimmer. Himmelherrgott , nicht einmal richtige Türen gab es hier, die er hinter sich mit lautem Knall zuschlagen konnte!
Ungeduldig tigerte er über den gestampften Lehmboden vor dem zweistöckigen Gebäude, das sich schamlos übertrieben Krankenhaus nannte. Fünf Schritte nach links, fünf nach rechts. Während er seine Wanderung unbeirrt fortsetzte, ließ er die Tür nicht eine Sekunde aus den Augen. Im Moment traute er Beate sogar zu, dass sie versuchte, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen.
Natürlich erwiesen sich seine Befürchtungen als unbegründet und schon wenige Minuten später trat sie aus der Krankenstation. Die Sonne spielte in ihrem Haar, erzählte von einer fröhlichen jungen Frau mit unwiderstehlichem Lachen und Smaragdaugen. Irgendwo auf dem Weg zwischen Paris und Afrika war das Strahlen auf ihrem Gesicht verloren gegangen.
Sie hielt den Kopf gesenkt, als Alain zu reden begann. „Wie geht es dir?“
„Alain, ich danke dir …“
„Ich will deinen Dank nicht!“, fuhr er gereizt auf.
„… dafür, dass du dich um Katrin gekümmert hast“, beendete sie leise ihren Satz.
„Katrin?“
„Meine Tochter.“
Seine Backenknochen fingen an zu mahlen. Sie ist genauso meine Tochter, hätte er sie am liebsten angeschnauzt. Meine! Warum hast du sechs Jahre lang unsere Tochter vor mir versteckt?
He! Bleib ruhig! ermahnte er sich streng. Das würde noch kommen. Schön eins nach dem anderen. Du hast alle Zeit der Welt.
„Mir sagte sie, ihr Name sei Catherine.“ Alains Blick schien Beate durchbohren zu wollen, als er eine Spur nachdrücklicher anfügte: „Alicia Catherine.“
Er trat einen Schritt auf Beate zu , die instinktiv die Luft anhielt. „Sie ist auch meine Tochter, nicht wahr?“
„Sie heißt Katrin“, betonte Beate noch einmal, ohne auf Alains Feststellung einzugehen. Ihre Stimme allerdings zitterte verräterisch. „Erst, seitdem ich ihr von einer Freundin erzählte, nennt sie sich selber Catherine.“
„Und … Alicia?!“ Es war der Name seiner Mutter, der jetzt auf seinen Lippen explodierte und Beate zu Tode erschreckte.
Ihr Atem beschleunigte sich, als sie hervorstieß: „Alain, warum bist du gekommen?“
„Antworte mir!“, brüllte er sie an und registriert im Unterbewusstsein, wie ihr jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. Er erkannte unmenschliche Qualen und das Grauen in ihren Augen. Sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Aber er wollte endlich eine Antwort!
„Alain …“
Er brachte sie mit seiner linken Hand, die sich schwer auf ihre Schulter legte, zum Schweigen. Seine Augen waren kalt und ausdruckslos.
„Ist sie meine Tochter?“
Mühelos legten sich seine langen, kräftigen Finger wie Schraubzwingen um ihre dünnen Oberarme. Er riss sie so plötzlich an sich, dass sie nicht einmal mehr Luft holen konnte.
„Sag es mir! Ich will die Wahrheit wissen!“, stieß er zwischen seinen knirschenden Zähnen hervor. „Ich muss endlich wissen, warum du mich verlassen hast!“
Er hielt die völlig erstarrte Frau gepackt und schüttelte sie in einem Anfal l blinder Wut und Enttäuschung. Doch sie gab keinen Laut von sich. Das Blut gefror in ihren Adern, bis sich eisige Kälte in ihrem Innern ausbreitete. Ihr Herz schien immer langsamer zu schlagen, so als wäre es zu müde, nun auch noch in diese Schlacht ziehen zu müssen.
Nein, sie wollte nicht mehr stark sein und kämpfen. Alain war nie ihr Feind gewesen. Warum also sollte sie gegen ihn ins Feld ziehen? Vielmehr beruhigte es sie, dass er jetzt da war und sich um ihr Kind kümmern würde. Ihr gemeinsames Kind. Cat würde es gut bei ihm haben. Gewiss war es feige, auf diese Art die Verantwortung auf ihren Mann abzuwälzen, aber sie hatte keine Kraft mehr.
Die Brust wurde ihr eng, bis sie sich schließlich zu jedem einzelnen Atemzug zwingen musste. Sie merkte, wie sie immer schwächer wurde. Ihre Augen glitten zur Seite, als würden sie auf Kugellagern laufen. Dann verschwammen die Bilder um sie herum und die Beine knickten unter ihr weg.
„Bea!“, sagte jemand in scharfem Ton und holte sie unbarmherzig aus den Nebeln.
Wenngleich die Stimme gedämpft wie durch eine Wand aus Watte an ihr Ohr waberte, schrak sie zusammen. Erschöpft blickte sie auf – direkt in ein nachtblaues Augenpaar, das besorgt auf sie gerichtet war. Alains Gesichtsausdruck schwankte zwischen verwirrt und verletzlich. Verletzlich? Sie war zu erschöpft, um
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