Begegnungen (Das Kleeblatt)
mit ausdrucksloser Miene vor sich hin. Nicht genug damit, dass er Schmerztabletten wie Bonbons aß. In den letzten Wochen hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, die Medikamente mit reichlich Alkohol hinab zu spülen. Wie lange noch würde sein Körper einen solchen Missbrauch aushalten?
„Ich habe meine Eltern angerufen.“
„Ach ja?“
„Schöne Grüße soll ich dir ausrichten.“
„Danke.“
„Sie freuen sich natürlich auf das Wiedersehen und wollten wissen …“
„Gut.“
„Und du möchtest wirklich nicht …“
Sein mörderischer Blick ließ sie sofort verstummen. Instinktiv zog sie den Kopf ein.
„Hast du etwas dagegen … Na schön, dann fahre ich eben alleine.“
„ Herrgott nochmal, Susanne, was soll das? Das war doch längst geklärt. Außerdem werde ich dir nicht in deine Entscheidungen hineinreden. Fahr zu deinen Eltern, wenn es dich glücklich macht. Du musst schließlich wissen, was du tust und wo du hingehörst.“
Sie hatte sich fest vorgenommen , sich durch keine seiner Äußerungen provozieren zu lassen. Sie hatte sich geschworen, ihre Ohren vor seinen Kränkungen zu verschließen. Nichtsdestotrotz brachten sie seine mit stoischer Gelassenheit vorgebrachten Worte aus der mühsam bewahrten Fassung. Wie konnte er so etwas sagen?
Sie holte tief Luft, bevor sie in unverändert liebenswürdigem Ton erklärte: „Kannst du dir denn nicht vorstellen, dass ich deine Meinung dazu hören wollte? Ich möchte mit dir darüber reden, gemeinsam mit dir eine Entscheidung treffen.“
Sein Schweigen gab ihr wie gewohnt umfassendere Antworten, als er jemals mit Worten hätte ausdrücken können.
Du musst wissen, wo du hingehörst, dröhnte es in ihrem Kopf wie Glockenschläge. Nein, sie wusste es eben nicht! Woher auch, wenn er nie von Zusammengehörigkeit und Zuhause-Sein redete? Sie hatte gehofft. Sie hatte geglaubt und gewünscht, aber nie gewusst.
Wo gehörte sie hi n?
„Sag doch nur einmal irgendetwas“, bat sie ihn eindringlich und ihre Stimme schien auf einer Träne auszurutschen.
Zum Teufel, sie wollte nicht weinen! Männer hassten plärrende Frauen und das würde bei Adrian nicht anders sein. Sie konnte sich schon denken, warum. Tränen machten ihm seine eigene Hilflosigkeit und seine Unfähigkeit, mit Gefühlen umzugehen, deutlich und er sollte nicht glauben, sie wolle sein Mitleid erregen oder, was wohl noch schlimmer wäre, dass sie ihn mit ihren Tränen zu erpressen versuchte.
„Fahre.“
„Fahre“, wiederholte sie tonlos. Das Wort klang in ihr nach, als könnte sie nicht glauben, was sie mit eigenen Ohren gehört hatte. „Hast du … sonst hast du vermutlich nichts dazu zu sagen, wie? Ist das alles?“
„ W-was … was denn noch?“
„Ich verstehe. Natürlich. Es ist so wunderbar einfach, nicht wahr? Geh endlich. Geh weg von mir. Lass mich in Ruhe. Fahre und komm möglichst nie mehr zurück.“
Langsam, ganz langsam hatte sie gesprochen, gerade so als hätte sie vorher jedes einzelne Wort auf die Goldwaage gelegt. Dabei verstand sie selber kaum, was sie sagte.
Adrian allerdings widersprach nicht.
S ie hätte es nicht für möglich gehalten, doch das Herz sank ihr noch tiefer. Mit entsetzlicher Klarheit begriff sie, dass sie voll ins Schwarze getroffen hatte. Ihr Kopf flog mit einem Ruck nach oben. „Das soll es also bedeuten? Korrigiere mich, wenn ich dich nicht richtig verstanden habe. Du musst verzeihen, manchmal habe ich einfach Probleme, dein Schweigen richtig zu deuten. Fahre. Geh. Na klar, warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Du hast dir die größte Mühe gegeben, mich mit der Nase darauf zu stoßen, nur begreife ich es immer viel zu spät. Du hast Recht, ich bin viel zu naiv für diese Welt. Leichtgläubig. Blond eben.“
Sie blickte in sein schmales Gesicht, auf dem plötzlich maßlose Verwunderung lag. Es war die erste Regung seit langem überhaupt, die sie an ihm beobachtete. Ungläubiges Staunen. Verwirrung und Fassungslosigkeit. War sie jetzt zu weit gegangen? Hatte sie ihn vielleicht völlig missverstanden?
Er öffnete den Mund für eine längst überfällige Erwiderung. Sie wusste, er brauchte meist eine ganze Weile, ehe er sich zu einer gründlich durchdachten Antwort entschloss. Also sah sie ihn erwartungsvoll an und versuchte mit einem zaghaften Lächeln zu zeigen, dass sie ihm das nicht übel nahm, sondern warten konnte. Er indes verschluckte die Worte, die ihm spruchbereit auf der Zunge gelegen hatten, und schloss seinen Mund
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