Begegnungen (Das Kleeblatt)
hob er eine Augenbraue. Er hatte geahnt, dass da noch etwas kommen musste. Deswegen also dieses unbeholfene Vorspiel, das so völlig untypisch für seine wortgewandte Frau war.
„Bloß ein paar Tage. Vielleicht übers Wochenende? Meine Eltern würden dich gerne kennenlernen. Sogar Jasdan hat angekündigt, einen Abstecher nach Steinbach zu machen, wenn wir dort sind. Bitte.“
„ Mich wollen sie kennenlernen? Einen Schiffskoch?“ Adrian sprach langsam und wie immer wohl bedacht. Messerscharf kam jedes einzelne Wort über seine Lippen und bohrte sich tief in Susannes Herz.
So viel also dazu, ein Gespräch mit Adrian Sprachlos führen zu wollen. Warum musste sie sich auch immer derart unmögliche Dinge wünschen? Konnte sie sich denn nicht mit dem Kamel bescheiden, das für sie durch ein Nadelöhr kroch? Oh nein, es musste ja unbedingt eine Unterhaltung mit Adrian sein!
„Hast du dir schon einmal ernsthaft überlegt, was deine Eltern von dir denken werden? Du, ihre einzige Tochter, kannst sie nicht dermaßen enttäuschen, indem du ihnen einen Taugenichts als deinen Mann vorstellst. Werden sie nicht auch der Meinung sein, dass du etwas Besseres verdienst?“
„Wieso auch ?“, funkte Suse aufgebracht dazwischen. „Wer ist denn der Meinung, ich hätte etwas Besseres verdient, hä? Sag schon! Ich habe den besten Mann bekommen, den ich mir nur wünschen konnte. Und einzig das zählt. Etwas anderes interessiert weder mich noch meine Familie und wem das nicht passt, der soll sich gefälligst zum Teufel scheren!“
„ Niemand will jemanden wie mich kennenlernen, geschweige denn in seine Familie aufnehmen. Mich – einen Kranken. Einen Menschen ohne Vergangenheit. Ohne einen Namen.“
Und ohne Zukunft. Er stockte und rang nach Luft. Er hatte keine Zukunft! Ohne den Grund, Suses gute Meinung über ihn zu bewahren, da er sie heute ein für alle Mal zerstören würde, strafte er sich selbst, indem er jetzt das Gegenteil zu erreichen versuchte. Ihre Verachtung. Es war eine schmerzhafte Selbstgeißelung. Und es brachte ihn fast um.
Sie hatten oft genug darüber gesprochen. Sein Widerwille, ihrer Familie vorgestellt zu werden, sollte ihr nicht entgangen sein. Er war kein exotisches Tier im Zoo, das man nach Lust und Laune vorführte und welches sich dabei seelenruhig begaffen ließ! Er verstand nicht, warum sie immer wieder damit anfing und einfach keine Ruhe geben wollte. Er hatte sich entschieden und konnte von seinem Standpunkt nicht abrücken, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
„Nein, Adrian , niemand denkt Derartiges über dich“, erwiderte sie mit jetzt wieder ruhiger, beherrschter Stimme. „Und dir wird es nicht gelingen, mir deine entwürdigende Meinung aufzuzwingen. Du hast in deiner Kindheit Schreckliches durchgemacht, das ist wahr. Damals warst du völlig hilflos und jetzt achtest du darauf, nie mehr die Kontrolle zu verlieren. Aber du solltest nicht vergessen, dass es von Kontrolle zu Halsstarrigkeit lediglich ein kleiner Schritt ist.“
„Ich tue das Richtige für dich.“
„Was du nicht sagst, kleiner Klugscheißer. Und woher willst du das wissen? Findest du es richtig, dein Leben lang dafür zu bezahlen, was man dir als Kind angetan hat? Ist es richtig, mich dafür zu bestrafen? Mich und unser gemeinsames Kind zu ignorieren?“
Es klang falsch, wenn sie es so sagte. Es klang irgendwie … dumm. Er bemühte sich, einen angemessenen Ton zu finden, die passenden Worte, während er zugleich seine verwirrten Gedanken ordnete, doch Suse kam ihm zuvor.
„Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich, dass du dir einbildest, für mich entscheiden zu müssen?“ Sie trat vor und legte ihm die Hand auf den Arm. „Willst du nicht wenigstens versuchen, es zu erklären? Vielleicht verstehe ich dich sogar.“
Verächtlich winkte er ab, schenkte sich mit zitternder Hand eine Tasse Kaffee ein und verließ die Küche. Vor der Tür atmete er mehrmals tief durch. Er rieb sich zerstreut die schmerzende Schläfe. Obwohl er es nicht wahrhaben wollte, ging es ihm schlechter als je zuvor. In seinem Kopf hämmerte es und in seinen Ohren hörte er Schreie und Stöhnen, Satzfetzen in allen möglichen Sprachen, die er kannte, aber keinen Ereignissen zuordnen konnte. Würde er die Erinnerungen denn nie mehr loswerden?
Warum bloß hatte er Peters nicht den Hals umgedreht, als sich ihm die Möglichkeit dazu geboten hatte? Schließlich trug er die Schuld an dieser ausweglosen Situation. Er hatte sich das Vertrauen
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