Begegnungen (Das Kleeblatt)
ein Spiel mit dem Feuer, doch sie konnte nicht anders. „Einen einzigen, allerletzten Gefallen? Jedem zum Tode Verurteilten wird ein letzter Wunsch gewährt, hab ich Recht? Also ist es sicher recht und billig, wenn du mir das ebenfalls zugestehst.“ Als hätte sie der Teufel persönlich geritten, kamen ihr die Worte wie von selbst über die Lippen gepurzelt. Und die Vorfreude auf seine Reaktion stand ihr unübersehbar ins Gesicht geschrieben.
Voller Misstrauen legte Adrian den Kopf schief und musterte Suse mit durchdringender Miene. Ihre Frage hatte so beiläufig geklungen, als wollte sie ihn bitten, ihr die Koffer zum Bahnhof zu bringen. Das allerdings würde sie gewiss nicht tun. Ihr Lachen irritierte ihn.
„W-was? Was willst du?“
Ihre Enttäuschung war nicht echt, dafür kannte sie Adrian viel zu gut, als dass sie eine andere Reaktion von ihm erwartet hätte, dennoch schmollte sie: „Wenigstens einmal hätte ich ein spontanes Ja von dir hören wollen. Na ja, macht nichts. Keine Bange, ich werde nichts Unmögliches von dir verlangen.“
Da bin ich mir nicht so sicher, Sanni. Nein, ich glaube nicht, dass ich dich zum Zug begleiten soll. Dieses Lächeln habe ich noch nie an dir gemocht. Es passt nicht zu dir. Es ist verlogen und gemein.
Er spürte, wie sich sein Puls beschleunigte , weil er diesen hinterhältigen Ausdruck in ihrer Miene verabscheute. Irgendetwas führte sie im Schilde.
„Was möchtest du?“
Dich natürlich! Am liebsten hätte sie laut losgegrölt vor Lachen. Sie wollte ihn und eine klare Aussage, was er selber wollte! Aber sie wusste, dass Adrian sie nicht aufhalten würde. Er hatte erreicht, was er beabsichtigte. Und diese Gewissheit zerriss ihr das Herz.
„Lass mich heute Nacht noch einmal zu dir.“
Statt des erwarteten Wutausbruchs breitete sich Schweigen aus. Dann ersticktes Murmeln in einer fremden Sprache. In Gedanken klopfte sich Suse auf die Schulter. Gut so! Jetzt war er gezwungen, Stellung zu beziehen.
Nach einer scheinbar endlosen Minute schaute er auf. Eine tiefe Falte grub sich zwischen seine dunklen Brauen, als er seine Frau betrachtete. Seine Augen waren groß und von einem warmen Rehbraun und bemühten sich redlich, nicht traurig auszusehen. Aber sein wehmütiger Ausdruck brannte sich tief in die Seele eines jeden Menschen. Suse zwang sich, dem Blick standzuhalten. Die Zeit, die eigentlich zu Taten drängte, spielte einen Moment keine Rolle mehr. Fast körperlich spürte sie, wie sich die Spannung auflöste, die den Raum zuvor erfüllt hatte. Wut und Trauer und Angst verebbten zusehends, schlichen sich auf leisen Füßen durch eine geheime Tür davon. Zurück blieb ein zu Tode erschöpfter Mann, dessen Gesicht grau und spitz geworden war.
Wenn er ihr doch sagen dürfte, welche Stürme in ihm wüteten! Wenn er lediglich ein kleines Stück der Wahrheit preisgeben könnte! Sie würde ihn verstehen. Jesus, wie sehr er diese Frau liebte! Ganz sicher würde sie sein Problem verstehen, weil sie ihn genauso liebte und während all der Wochen unbeirrt an ihrem Glauben an ihn festgehalten hatte. Er wollte sie nicht gehen lassen. Wie sollte er denn in Zukunft ohne sie leben? Nicht sie war die zum Tode Verurteilte, sondern er! Sie hatte sein Kind, eine Familie, Freunde. Sie kannte ihren Platz auf dieser Welt. Sie wusste, wo sie hingehörte.
Sie wusste, zu wem sie gehörte.
Und er selber? Er war nichts und hatte nichts und aus eben diesen Gründen vor Jahren eine Verpflichtung unterschrieben, die ihn auf Gedeih und Verderb und für ewig an Frithjof Peters und sein Team fesselte.
Ihm war, als würde sein Herz von einer gepanzerten Faust zusammengepresst. Adrian wandte sich ab. Der glühende Schmerz, der deutliche Spuren auf seinem Gesicht hinterließ, hätte ihn sonst verraten. Er zwängte ihn in eine kleine Schachtel, die er tief in seinem Inneren verstaute, weil er andernfalls die nächsten paar Minuten und Tage und Wochen nicht überleben würde.
Er schluckte schwer und bat dann leise: „Mach es uns nicht noch schwerer, Susanni.“
Susanni. Sie schloss die Augen, ließ sich diesen Namen auf der Zunge zergehen und schmeckte die Süße von Nugat. Niemand flüsterte ihren Namen so schmeichelnd und zärtlich wie Adrian. Bei keinem anderen stellten sich die Härchen in ihrem Nacken vor Erregung auf, wenn sie den Namen hörte. Jedes Mal, wenn er sie so nannte, ging ihr Atem schneller, klopfte ihr Herz vor Erwartung heftiger, wurde sie weich wie Wachs in der Sonne. Sie hatte
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