Begegnungen (Das Kleeblatt)
Tränen brannten in ihr und forderten ihr Recht auf Tageslicht.
„Oder meinst du nicht?“, flüsterte sie und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
Matthias schluckte betreten. Er wollte sie nicht weinen sehen! Großer Gott, mit den Tränen einer Frau hatte er noch nie umgehen können. Er hielt sich keineswegs für eingebildet, selbst wenn er behauptete, in jeder anderen Situation seinen Frauen überlegen zu sein. Aber den Tränen dieses blonden Engels stand er absolut hilflos gegenüber.
Vorsichtig streckte er seine Hand aus und legte sie auf ihre. „Nicht, Suse. Weine nicht. Er hätte es getan, wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Er hätte mir auch das gesagt und selbstverständlich hätte ich euch abgeholt. Ich wusste es wirklich nicht.“
Allerdings würde er das schleunigst ändern! Gleich heute würde er nach Gehlsheim fahren und sich nach dem Verbleib von Suses Briefen erkundigen. Und vor allem wollte er Ossi sehen! Schließlich war sein Freund nicht in einer geschlossenen Anstalt untergebracht oder ein Schwerverbrecher, der keinen Besuch empfangen durfte.
„Was er wohl sagen wird, wenn er erfährt, dass sein bester Freund wieder einmal mit mir das Bett teilt?“
Das war der Augenblick, in dem er zu dem endgültigen Schluss kam, dass das weibliche Gehirn ein fremdartiges und unbegreifliches Organ sein musste. Auf Gottes weiter Welt gab es vermutlich keine Frau, die auf dem Weg von A nach B keinen Umweg über C, D, X und 23 machen würde. Suses urplötzlich wieder höhnische Stimme stach ihm wie ein Dolch ins Herz. Warum tat sie das? Weshalb wollte sie ihn verletzen? Oder glaubte sie ihm nicht, dass er sie in der Nacht in seinem überdimensionalen Bett einfach übersehen hatte?
Als er seine Stimme wiederfand (was zu seinem Kummer länger dauerte, als man von eine m abgeklärten Mann erwarten durfte), erwiderte er: „Ich habe mich bei dir für dieses Versehen entschuldigt.“
Wie k ann ein Mensch bloß derart nachtragend sein? dachte er gereizt und ließ seinen Ärger am nächsten Brötchen aus.
„ Und Ossi weiß, dass ich mich momentan hier aufhalte. Bevor er in die Klinik ging, hat er mich ausdrücklich gebeten, mich um euch zu kümmern, wenn ihr nach Hause kommt.“
Mit einem gemurmelten Fluch, den sie von ihrer Freundin Beate gelernt und mit Bothos Hilfe perfektioniert hatte, funkelte sie ihn empört an. „Was seid ihr bloß für arrogante und selbstgefällige, riesenhafte Ochsen! Als hätte ich es nötig, mich von dir – ausgerechnet von dir! – bemuttern zu lassen! Ich bin sehr wohl in der Lage, auf mich selber aufzupassen. Warum hast du nicht lieber ein Auge auf deinen Freund geworfen? Es wäre viel vernünftiger und wichtiger gewesen, ihn zu retten.“
„Du weißt, was für ein sturer Kerl er ist. Wenn er sich etwas in den Kopf setzt, dann bleibt es auch dort. Und zwar so lange, bis er seinen Willen durchgesetzt hat. Und dieses Mal war er eben der festen Überzeugung, ihr würdet meinen Schutz benötigen, also musste ich ihm versprechen …“
Seine Ohrenspitzen färbten sich langsam rot und lauter, als nötig gewesen wäre, um ihn zu verstehen, polterte er: „Ich habe mich nicht um diesen Job gerissen, das kann ich dir versichern! Allerdings hatte ich etwas gutzumachen … Es ist doch nun wahrlich kein Vergnügen …“
„Was?“, schnappte sie gereizt.
„ Er hat meine Einwände einfach ignoriert. Seit wann bist du dermaßen naiv zu glauben, Ossi würde sich von mir etwas sagen lassen?“
„Hmpf! Von wem denn sonst? Denkst du vielleicht von mir? Dass ich nicht lache!“
Matthias ballte die Hände zu Fäusten und schüttelte deprimiert den Kopf. Dabei fiel sein Blick auf die goldene Uhr an seinem Handgelenk. Er schoss von seinem Stuhl auf.
„Herrjeh, ich habe völlig die Zeit vergessen! Meeting bei Harry. Es kommt selten vor, dass ich nicht alleine frühstücke …“
„ Clausing! He, warte! Und was … Willst du etwa wieder mitten in der Nacht … Du kannst auf keinen Fall hierbleiben, das ist dir doch wohl klar?“
„Ich komme zeitig nach …“ Ein Hustenanfall ließ das folgende Wort in einem erbärmlich unechten Röcheln untergehen, bis er schließlich keuchte: „Ich bin zeitig zurück, versprochen. Dann werden wir darüber reden. Suse, ich werde dich anrufen und Bescheid geben, wie lange die Tagung dauert. Sollte ich es bis zum Abendessen schaffen, werde ich uns von unterwegs etwas mitbringen. Ansonsten müssten die Sachen im Kühlschrank für
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