Begegnungen (Das Kleeblatt)
Brötchen oder Croissants?“ Hochrot im Gesicht reichte er ihr den Brotkorb.
Si e suchte seine Augen, die so viel von seinen Gedanken und Gefühlen verrieten, doch er senkte rasch den Kopf. Mit einer Mischung aus Belustigung und Sorge beobachtete sie, wie er sich während er nächsten Sekunden mit übertriebenem Eifer über ein Brötchen hermachte, indem er es voller Wut der Länge nach aufschlitzte und ausweidete, als hätte er seinen ärgsten Feind vor sich.
Oh Matt’n, was bist du bloß für ein erbärmlicher Lügner! Selbst Theater spielen konntest du schon mal besser.
Ihre folgenden Worte genügten, um ihn endlich von seinen eigenen Problemen abzulenken. „Erzählst du mir jetzt, was das alles zu bedeuten hat? Wo ist Adrian abgeblieben? Wird inzwischen im Hotel sogar über Nacht ein Koch benötigt oder wieso ist er bislang nicht aufgetaucht? Hat er vielleicht … jemanden kennengelernt?“
„ Um Gottes willen, nein! Oh nein, Suse, das würde er niemals tun! An so etwas solltest du nicht einmal nur denken. Das ist es ganz bestimmt nicht.“
„ Was dann?“
„Er ist … in Gehlsheim.“
Suses Kopf ruckte in die Höhe. Das Croissant fiel ihr aus der Hand und klatschte mit der Marmeladenseite nach unten auf die blütenweiße Tischdecke.
„In …“
Matthias nickte knapp und wich ihrem bohrenden Blick aus. Mit einer Geste der Verlegenheit strich er sich über das glatt rasierte Kinn.
„Immer noch? Weshalb so lange? Davon hat er gar nichts geschrieben.“ Sie lachte bitter auf und fügte zum besseren Verständnis hinzu: „Wenn er sich überhaupt mal dazu herabließ, mir großzügigerweise ein paar Zeilen zukommen zu lassen. Und ich dachte, er hätte das endlich hinter sich. Der Arzt im Krankenhaus hat mir von ihm ausrichten lassen, es ginge ihm gut.“
„Na ja. Ja, es stimmt, Ossi war zum Entzug. Gleich nach deiner Ab reise. Dann allerdings … Er ist rückfällig geworden und … und jetzt …“
Jetzt geht es ihm sehr viel schlechter als zuvor. Zur Hölle, was sollte er ihr bloß sagen? Doch ganz bestimmt nicht die Wahrheit!
Dieser elende Bastard drückte sich vor der längst fälligen Aussprache mit Sus anne, flüchtete sich feige in den Suff und überließ es seinem Freund, sie davon zu überzeugen, dass sie es einfacher ohne ihn haben würde. So zumindest sollte er es ihr von diesem Dummkopf ausrichten.
Er hatte seinem besten Freund nie zuvor einen Wunsch abgeschlagen. Dafür kam es viel zu selten vor, dass Ossi ihn überhaupt um etwas bat. Suse indes derart vor den Kopf zu stoßen, würde er bei aller Freundschaft nicht übers Herz bringen.
„In Gehlsheim“, murmelte sie fassungslos. „Ich dachte … ich habe so sehr gehofft, es wäre vorbei. Ich hätte hier, bei ihm, bleiben müssen. Ich hatte ihm versprochen, dass wir beide das gemeinsam schaffen, und bin einfach davongelaufen.“
Hatte sie allen Ernstes schon vergessen, dass er sie weggeschickt hatte? Er wollte sie nicht bei sich haben. Vielleicht noch immer nicht?
„ Weißt du, ob er dort Besuch empfangen darf? Ich muss mit ihm reden. Und vielleicht möchte er ja auch mal sein Kind sehen.“
„Das ist unmöglich, Susanne , zumindest vorerst. Sie lassen niemanden zu ihm. Das könnte den Erfolg der Therapie gefährden, haben sie mir erklärt, als ich ihn besuchen wollte.“
„ Aber du bringst ihm seine Post?“
„Ich gebe sie auf der Station ab. Ja.“
Misstrauisch blickte sie auf. „Bist du sicher, sie händigen ihm die Briefe aus?“
„Warum nicht?“
Seinem verwirrten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er bis lang keinerlei Zweifel daran gehegt. Aber sie hatte wohl Recht. Er wusste nicht, ob Ossi seine Post tatsächlich erhielt.
„Abgesehen von einer lächerlichen Karte zum Geburtstag und einem ebenso herzlosen Glückwunsch zur Geburt hat er sich im letzten halben Jahr nicht bei mir gemeldet. Kein Anruf. Nichts. Ich hatte damit gerechnet, dass er mir wenigstens ab und an mal eine meiner Fragen in einem meiner hundert Briefe beantworten würde. Außerdem hatte ich ihm von unserer Rückkehr geschrieben. Wenn er also wusste, dass er uns nicht selber würde abholen können, hätte er dir doch etwas davon erzählt und dich darum gebeten. Wo du schon mal da bist.“
Na klar, Clausing durfte Adrian nicht besuchen.
Sie stieß die Luft aus und knurrte: „Zumindest hätte er dir das ausrichten lassen. Er hätte nicht gewollt, dass wir vor verschlossener Tür stehen. Bestimmt nicht. So fair ist er trotz allem.“
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