Begehrter Feind
der Bäcker.
Gisela stützte die Hände an der Wagenseite auf und schwang sich hinunter auf den Boden. Über ihr setzte aufgeregtes Gemurmel ein. Sie hob den Kopf und rief: »Ich bin Gisela Anne Balewyne. Ich muss mit Lord de Lanceau sprechen.«
Noch mehr Gemurmel.
»Bist du eine Adlige?«, fragte die Stimme. »Eine Bekannte Seiner Lordschaft?«
»Nein, ich bin eine Näherin aus Clovebury.«
Ein Fluch hallte über die Zinnen, gefolgt von ungläubigem Lachen. »Eine Gemeine also?«
Ein bescheidenes Gänseblümchen, das am Wegesrand wächst.
»Ja«, antwortete sie.
»Lord de Lanceau ist im Bett«, rief der Mann oben. »Komm morgen früh wieder.«
Gisela versuchte, ihre Nervosität zu verdrängen. Schließlich hatte sie keine andere Auskunft erwartet. Entschlossen blickte sie hinauf zu der Zinne über dem Torhaus, wo der Rufende stand. »Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit. Es geht um Dominic de Terre.«
Nun klang das Murmeln erschrocken.
»Was weißt du von Dominic?«
Er ist der Vater meines Sohnes und der Mann, den ich bis zu meinem letzten Atemzug lieben werde.
»Er ist in Gefahr.«
»Woher weißt du das?«
Sie blickte sich um. Die Schatten waren wie Ungeheuer, die nur darauf lauerten, sich auf sie zu stürzen. Hinter ihr knarrte es im Wagen, und sie fühlte, dass Ewan sie genau beobachtete.
»Was ich zu sagen habe, muss ich Lord de Lanceau erzählen, unter vier Augen«, rief sie entschlossen.
»Ein ziemlich stures Ding«, raunte ein anderer Mann.
»Was kann sie über Dominic wissen?«, fragte die erste Stimme besorgt. »Vielleicht sagt sie die Wahrheit.«
Allmählich wurde Gisela verärgert. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Bitte! Dominic könnte …
sterben.
« Ihre Stimme brach beim letzten Wort.
Die Schrecken und Anstrengungen der Nacht machten sich in Form von heißen Tränen bemerkbar, die ihr über die Wangen liefen. »Nein«, sagte sie leise und wischte sich die Tränen fort. »Ich werde nicht weinen. Nein, das werde ich nicht!«
Eine warme Hand ergriff die ihre. Ewan stand neben ihr, sein Spielzeugschwert in der Hand. »Ich hab dich lieb, Mama.«
»Ach, Knöpfchen!«, schluchzte sie erstickt.
Ihr kleiner Sohn blickte mürrisch hinauf zu den Zinnen. »Die Männer lassen dich schon rein. Ich kann die Zugbrücke kaputt hauen, pass auf …«
»Danke, Ewan, das ist ein sehr galantes Angebot, aber …«
Ein metallisches Quietschen drang von der Burg herüber, und einen Moment später wurde die Zugbrücke heruntergelassen.
Vor lauter Erleichterung gaben Giselas Knie fast nach.
Ewan rannte vor und zog sie mit sich. »Schnell, Mama!« Mit leuchtenden Augen drehte er sich zu ihr um und flüsterte aufgeregt: »Wir gehen in eine richtige Burg!«
»Ich … ähm … ich warte hier auf euch«, rief der Bäcker ihnen nach.
Gisela winkte ihm zu. »Komm mit!«
Unglücklich neigte der Bäcker den Kopf und murmelte etwas vor sich hin, was sich wie ein verzweifeltes Gebet anhörte. Dann aber nahm er widerwillig die Zügel auf und trieb sein Pferd an.
Gisela stolperte über einen halbvergrabenen Stein, fing sich gerade noch ab und eilte Ewan nach. Der Geruch von altem Gemäuer und Wasser wehte ihnen entgegen und erinnerte sie daran, wie bald sie de Lanceau gegenüberstehen würde.
Sie unterdrückte ein Schaudern, als sie mit Ewan im Schatten der Burg stand und beobachtete, wie die Zugbrücke nach unten klappte. Dann setzte lautes Stiefelgetrampel ein, als vier Waffenknechte über die Holzplanken auf sie zukamen.
Ihr Anführer, ein junger Mann mit strohblondem Haar, musterte Gisela eingehend. Er hielt eine Armbrust auf sie gerichtet, und Gisela bezweifelte nicht, dass er gut mit der Waffe umgehen konnte.
»Ihr könnt hereinkommen«, sagte er und zeigte auf den Hof hinter dem Torhaus. An der Stimme erkannte Gisela, dass er es gewesen war, der sie von den Zinnen aus befragt hatte.
Sie nickte, nahm Ewans Hand und überquerte mit ihm die Zugbrücke. Wenig später hörte sie das Klappern von Hufen und das Rumpeln von Wagenrädern. Der Bäcker folgte ihnen.
Ewan blickte sich ehrfürchtig um, als sie unter dem Fallgitter hindurch und an dem Torhaus vorbei in den von Fackeln erleuchteten Hof gelangten. »Mama«, flüsterte er, »hier sind aber viele Krieger!«
Er hatte recht. Und sie alle beobachteten Ewan und sie. Als Gisela »Ja« murmelte, blickte der Blonde zu ihr, und sie glaubte, den Anflug eines Lächelns zu sehen.
Nachdem er seine Armbrust einer anderen Wache übergeben hatte,
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