Begehrter Feind
sie mit Ada niedergeschlagen hatte? War einer von ihnen zu sich gekommen, hatte Ada überwältigt und war ihr nachgeeilt? Hatte er womöglich ihr Gespräch mit angehört?
Gisela sah zu Ewan und drückte einen Finger auf ihre Lippen, bevor sie ihn zur Seite eines nahen Hauses zog. Dort konnten sie sich im Schatten verkriechen. Mit etwas Glück ging der Mann einfach an ihnen vorbei.
Während sie noch auf die Hausnische zueilte, befreite Ewan seine kleinen Finger aus ihrer Hand. Erschrocken drehte Gisela sich um und wollte wieder nach ihm greifen, doch er ging ins Mondlicht hinaus.
Ewan stand für jedermann sichtbar da, die Beine leicht gespreizt, Sir Smug über seiner rechten Schulter und sein Schwert vorstreckend. Er rief: »Wer da?«
»Ewan!«, flüsterte Gisela unglücklich.
»Keine Angst, Mama! Ich beschütze dich.«
Ein verwundertes
»Hmmpf«
ertönte aus der Dunkelheit, dann erschien eine große breitschultrige Gestalt und blieb vor Ewan stehen. Haar und Kleidung des Mannes schimmerten gespenstisch weiß.
Der kleine Junge riss den Mund weit auf. Sein Holzschwert schwankte in der Luft, und er stolperte rückwärts. »Ein Geist!«, hauchte er.
Gisela lief zu Ewan, schob ihn hinter sich und starrte den Mann an, der große Ähnlichkeit mit dem Bäcker hatte. Aber warum sollte er mitten in der Nacht durchs Dorf stapfen, noch dazu mit weißem Puder bedeckt?
Der Bäcker stemmte die Hände in die Hüften, worauf eine feine weiße Staubwolke von ihm aufstob. »Dass ich euch hier auf der dunklen Straße treffe!« Er sah erst Gisela, dann Ewan an, der scheu an ihr vorbeilinste.
»Dich hätten wir auch nicht erwartet«, entgegnete Gisela. »Ist etwas passiert?«
Der Mann nickte, als wollte er ihr bedeuten, sie solle ihn doch bloß genauer anschauen. »Das kann man wohl sagen, Anne, o ja, es ist etwas passiert!« Er fuhr sich seufzend mit der Hand durchs Haar und setzte damit eine weitere weiße Staubwolke frei.
»Warum siehst du denn wie ein Gespenst aus?«, fragte Ewan.
»Weil ein paar lumpige Diebe in meinen Laden eingebrochen sind. Ich war in der Taverne, um mit ein paar Freunden ein Bier zu trinken. Erst als ich wiederkam, sah ich die Bescherung.«
»Das tut mir leid«, sagte Gisela, die sich nur zu gut vorstellen konnte, welche Verwüstungen die Schurken angerichtet hatten.
»Sie haben mein Fenster eingeschlagen, meine Tische zu Kleinholz gemacht, mir alle Brote ruiniert und«, der Bäcker zeigte auf den weißen Puder an seiner Kleidung, »die meisten meiner Mehlsäcke zerschnitten. Einen Monat wird es mich kosten, um den Schaden wieder hereinzuholen, mindestens.« Kopfschüttelnd fuhr er fort: »Sie müssen weggerufen worden sein, bevor sie fertig waren, denn ein paar Sack Mehl sind noch übrig, und mein Pferdefuhrwerk haben sie auch in Ruhe gelassen. Das hätten sie sicher gestohlen, wären sie nicht gestört worden.«
Und Gisela glaubte auch zu wissen, was sie davon abgehalten hatte, den Bäcker vollends zu ruinieren: Sie waren abgerufen worden, um Dominic zu verprügeln und zu entführen.
»Das ist alles seine Schuld«, knurrte der Bäcker. »Dieser verräterische, aufgeblasene …«
»Crenardieu«, ergänzte Gisela nickend.
»Hä?« Der Bäcker runzelte die Stirn. »Doch nicht der französische Pinkel! Ich meine den Bettler, der gar keiner war. Meine Freunde sagen, sie haben ihn in der Taverne gesehen, mit ganz feinen Kleidern an.«
»Sein Name ist Dominic«, sagte Gisela. »Er …«
»Du kennst seinen
Namen?
« Der Bäcker hob einen mehligen Finger. »Anne, halt dich fern von ihm! Er ist ein …«
»Ritter im Dienste von Lord Geoffrey de Lanceau.«
Mitten im Satz verstummte der Bäcker staunend.
»Was?!«
»Dominic wurde hergeschickt, um nach gestohlenen Tuchballen zu suchen. Er spionierte für de Lanceau.« Sie sah den Bäcker an und ergänzte: »Er tat seine Pflicht.«
Die erhobene Hand des Bäckers zitterte sichtlich. »Oh«, machte er, ballte die Hand zu einer lockeren Faust und räusperte sich. »Du meinst, ich habe einen unschuldigen Mann verprügelt – einen von de Lanceaus Leuten?«
Gisela nickte wieder.
»Ui«, machte Ewan.
Auf einmal wirkte der Bäcker kreuzunglücklich und wischte sich stöhnend über den Mund.
Im selben Moment kam Gisela ein rettender Einfall. Lächelnd berührte sie den Bäcker am Arm. »Mach dir deshalb keine Sorgen!«
»Wie soll ich mir wohl keine Sorgen machen? Mein Laden ist zerstört, und ich habe de Lanceaus Spion verdroschen!«
»Aber du hast
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