Beginenfeuer
Geschlechts sie ist.«
»Die Kirche schätzt keine Frauen, die es wagen, eigene Gedanken zu formulieren.«
»Weiber haben zu gehorchen und zu schweigen.« Ysée beherrschte sich mit Mühe. »Das klingt, als hätte die Kirche etwas gegen Weiber.«
»Schon seit Adam und Eva«, meldete sich Étienne, der so selten das Wort ergriff.
Er war der Älteste in der Runde. Der Fuchs hatte Ysée erzählt, dass er aus dem Flandrischen kam, und sein Akzent weckte jedes Mal in ihrem Herzen Heimweh nach dem Weingarten.
»Man könnte ebenso gut Adam dafür verurteilen, dass er so dumm war, den Apfel zu nehmen«, kritisierte sie den uralten Vorwurf der Erbsünde. »Ist nicht jener, der einer Versuchung erliegt, ebenso schuldig wie der, der in Versuchung führt?«
»Hört, hört unseren Grünschnabel. Was verstehst du schon von der Versuchung, Kerlchen? Wenn dir eine Dirne auf dem Markt von Notre-Dame schöne Augen macht, denkst du doch, dass sie dein elegantes Barett bewundert«, spottete Jeannot lachend.
Jeannot war der Komödiant der Gruppe. Mit seinen lebhaften Gesten, der dürren Gestalt und den spöttischen Grimassen hatte er stets die Lacher auf seiner Seite. So war es eine ausgelassene Gruppe, die zur Kirche von Saint Mathurin zog, wo an diesem regnerischen Apriltag das endgültige Urteil über die Schrift der Begine gefällt werden sollte.
Seit Ysée erfahren hatte, dass es um Marguerite Porète ging, war die Entscheidung gefallen. Sie musste die Frau sehen, die solchen Einfluss auf ihr Leben gehabt hatte. Hör auf, ständig alles zu fürchten!, schalt sie sich selbst und verdrängte entschlossen ihre düsteren Gedanken. Sie würde schon nicht vor den Stadtvogt von Paris, den Prévôt, gezerrt werden, weil sie sich als Frau anmaßte, Männerkleider zu tragen.
Renard hatte ihr ahnungslos verraten, welches Verbrechen sie damit beging. Die Kirche verurteilte es als Häresie, wenn jemand die Kleidung des anderen Geschlechts anlegte. Hatte Simon davon gewusst, als er diese Rolle für ihre Flucht aus Brügge vorschlug? Und wenn ja, warum setzte er sich über die Gebote der Kirche hinweg?
Ysée führte einen ständigen Kampf des Herzens gegen ihren Verstand. Was hatte es für einen Sinn, einem federleichten Kuss nachzuweinen, der Illusionen und Träume weckte? Es konnte, durfte nicht sein.
Dass sie in diesem Moment Saint Mathurin erreichten, zerstreute ihre Gedanken. Die grauen Mauern des Gotteshauses waren im Gegensatz zu Notre-Dame völlig schmucklos, der Turm rechteckig und nur wenig höher als das schieferbedeckte Spitzdach. Die offenen Türen wurden von der Garde des Erzbischofs bewacht. Die Bewaffneten erhoben keinen Einwand, als sich die Studenten unter die Priester, Bettler und Bürger mischten, die bereits das Kirchenschiff füllten. Ysée entdeckte auffällig viele Frauen unter ihnen.
Die Menge murmelte, schob und drängelte. Halb Paris hoffte die Begine zu sehen, die dem gefürchteten Dominikanerpater und Generalinquisitor von Frankreich, Guillaume Imbert, seit achtzehn Monaten trotzigen Widerstand leistete. Unter feierlichem Beckenschlag nahm die Reihe der Prälaten und Würdenträger im geschnitzten Chorgestühl neben dem Altar Platz. Unverhofft breitete sich solche Stille aus, dass das Rascheln der Mäntel und Chorhemden sowie das Knarren der Holzsitze überdeutlich in den Ohren tönten. Die schweren Schritte des Mannes, der nun auf die Kanzel stieg und die versammelte Menge musterte, ehe er mit einem bedeutsamen Kopfnicken Befehl gab, die Angeklagte hereinzuführen, hatte eine Unheil verkündende Ausstrahlung. Ysée reckte sich auf die Zehenspitzen. Sie sah dünne, graue Haarsträhnen und eine zusammengesunkene Gestalt in einem schmutzigen Büßerhemd, die sich nur aufrecht halten konnte, weil sie von Bewaffneten unter den Armen gestützt wurde. Als die Wachsoldaten zurücktraten, sank das Opfer auf dem Steinboden vor dem Altar zusammen. Folter und Schwäche hatten Marguerite Porète jede Kraft geraubt.
Der entsetzliche Anblick entlockte nicht nur Ysée einen unterdrückten Aufschrei. Die Zuschauer steckten tuschelnd die Köpfe zusammen. Den Männern des Gerichts war keine Regung anzusehen. Statuen gleich thronten sie auf ihren Sitzen und lauschten der Anklage, die der Generalinquisitor nun mit strenger Stimme verlas.
»Es ist nicht Sache der Frauen, zu lehren und die Bibel auszulegen. Wer es dennoch tut, ist wie die Schlange, die Adam und Eva mit ihrem Gift verdorben hat«, verkündete er. Ysée zog den
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