Beginenfeuer
Nogaret gab den Ausschlag. »Gesetzt den Fall, Ihr wäret an meiner Stelle«, unterbrach die Stimme Bolognes in diesem Augenblick seine unruhig schweifenden Gedanken. »Wie würdet Ihr handeln?«
Mathieu sah ruckartig auf. Konnte der andere seine Gedanken lesen?
»Ich würde nie die Person des Königs außer Acht lassen«, sagte er nach einem tiefen Atemzug. »Ihr steht zwar vor der Kommission des Papstes, aber die Hintergründe sind sehr vielschichtig.«
»Die drohenden Anzeichen der Gefahr sind von unserem Großmeister nicht erkannt worden.« Bologne gestattete sich ein gereiztes Schnauben. »Das begann schon vor zehn Jahren, als er unseren Schatzmeister aus dem Orden verstieß, weil er der Krone von Frankreich Geld geliehen hatte. Und nicht zu vergessen die Erniedrigung, die der König erfahren musste, als er vor dem Pariser Pöbel in den Temple fliehen musste. Ich wünschte, Monsieur de Molay hätte damals eine größere Weitsicht besessen.«
Mathieu stimmte ihm zu. »Der Großmeister hätte in Zypern bleiben sollen, statt der Einladung des Heiligen Vaters nach Frankreich zu folgen. Es war abzusehen, dass es zu dem neuen Kreuzzug nie kommen würde, den der Papst als Grund für die Einladung angab.«
Sie tauschten einen Blick. Beide erinnerten sich an die damalige, viel zu prunkvolle Ankunft des Großmeisters »der armen Ritterschaft Christi vom salomonischen Tempel«. Jacques von Molay war wie der regierende Fürst eines Landes auf getreten. Er hatte das gesamte Vermögen des Ordens im Gepäck und ließ sich von sechzig ausgewählten Rittern begleiten. Zwölf starke Packpferde waren angeblich nötig gewesen, um allein die Truhen voller Gold und Juwelen zu transportieren. Die Bürger des ganzen Königreiches zerrissen sich seither das Maul über den sagenhaften Schatz der Templer. Mittlerweile waren aus den zwölf Packpferden schon zwölf schwer beladene Fuhrwerke geworden.
»Er hat dem Orden geschadet«, fügte Mathieu knapp hinzu. »Und er tut es immer noch. Ich verurteile keinen Mann, der unter der Folter unsinnige Dinge gesteht, aber seit man ihn von seinen Rittern getrennt hat, sagt er in jeder Einvernahme etwas anderes aus. Er sitzt in Schloss Gisors und wird abwechselnd von den Männern des Königs und denen des Papstes verhört. Man hat Mühe zu begreifen, was Angst oder Einsamkeit in seinem Kopf angerichtet haben.«
»Gisors?« Pierre de Bolognes Stimme klang seltsam gepresst. Gisors lag an der Grenze zur Normandie und galt als uneinnehmbare Festung.
Wenn es in seiner Macht lag, zu verhindern, dass noch mehr fromme und ehrenwerte Männer ihr Leben verloren, dann musste Mathieu handeln. Der König würde seine Pläne auch durchsetzen, wenn weniger gefoltert und getötet wurde. »Ich habe gehört, man hätte ihn schon vor einiger Zeit dorthin gebracht«, sagte er ruhig. »Er ist im Tour de Prisonnier eingekerkert, den König Philipp Augustus dort gebaut hat. Vermutlich wollte Seine Majestät einem möglichen Befreiungsversuch vorbeugen. Aber Ihr seid sicher zu vernünftig, um einen solch tollkühnen Plan zu schmieden. Seht den Tatsachen ins Auge. Der Orden und sein Großmeister sind verloren.«
»Warum? Wegen der 127 lächerlichen Artikel der Anklage? Hasst uns der König so sehr?«
»Ihr unterstellt ihm Gefühle, die für seine Entscheidungen nicht maßgeblich sind. Sein Stolz mag gekränkt sein. Er ist verärgert, gleichwohl wird er sich nie gestatten, durch persönliche Empfindlichkeiten sein Handeln bestimmen zu lassen. Alles, was er tut, dient in erster Linie dem Erhalt und dem Ruhm des Königreiches. Aus Erfahrung weiß er, dass Hartnäckigkeit mehr bewirkt als Heldenmut und Schlachtengetöse.«
»Und er ist wohl entschlossen, den Einfluss der Kirche auf ein Mindestmaß zurechtzustutzen. Papst Clemens ist kein Gegner für ihn.« Bologne suchte Mathieus Blick. »Was also würdet Ihr tun, um wenigstens das Leben unschuldiger Männer zu retten, wenn schon ihre Organisation zum Untergang verurteilt ist?«
»Mich selbst in Sicherheit bringen und dazu so viele meiner Brüder, wie es mir möglich ist. Ihr seid nicht ohne Freunde. Die Pariser sind ein launenhaftes Volk. Sie haben die stolzen Tempelritter nicht gemocht, aber die gefolterten Männer, die bereit sind, für ihren Glauben zu sterben, beginnen sie immer mehr zu bewundern. Der König weiß dies, und er wird schnell und rücksichtslos handeln.«
»Ihr wisst viel, Bruder. Wisst Ihr vielleicht auch, wer der Nachfolger des verstorbenen
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