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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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riss die Tür zum Hausgang auf. Das Bild, das sich seinen Augen dort bot, verschlug ihm die Sprache. Ysée trug Knabenkleider. Durchnässt und tropfend klebten sie an ihrer schlanken Gestalt. Feuchte Locken kringelten sich um ihr Gesicht, und ihre Augen waren gebannt auf Simon gerichtet, der gerade seinen Umhang über das Geländer der Treppe legte. Sie waren so aufeinander fixiert, dass sie ihn kaum wahrnahmen. »Was geht hier vor?«
    Mathieu stellte die Frage in so gefährlicher Ruhe, dass beide erschrocken zu ihm herumfuhren.
    Ysée konnte nichts sagen. Sie war zu aufgewühlt, um einen klaren Gedanken zu fassen. Simons unverhoffte Gegenwart hatte ein solch überwältigendes Gefühl in ihr ausgelöst, dass sie nicht einmal sagen konnte, ob sie zitterte, weil ihr der Regen bis auf die Haut gedrungen war oder weil er plötzlich wieder vor ihr stand.
    »Was führt dich nach Paris, kleiner Bruder?«, wandte sich Mathieu an Simon.
    Das war genau die Frage, die Simon fürchtete. Der Prozess gegen Marguerite Porète hatte so viele Zweifel in ihm geweckt, dass er keine Antworten mehr fand.
    »Ich kann es nicht fassen, dass du Ysée solche Abenteuer erlaubst. Du hast mir versprochen, dass sie ein Leben führt, das ihr angemessen ist«, ging er der Frage aus dem Weg. »Er hat nichts davon gewusst«, warf Ysée ein. Mathieu schwieg. Sowohl zu Simons Vorwurf wie zu Ysées unerwarteter Verteidigung.
    Mit einer ungeduldigen Geste tat Simon den Einwurf ab. »Ich glaubte Ysée in Sicherheit. Dieser Leichtsinn kann sie das Leben kosten.«
    »Was kümmert Euch mein dummes Leben? Ihr habt mich fortgeschickt!«
    Ysée wusste, dass ihm in Brügge keine andere Wahl geblieben war, aber seine grobe, unwirsche Art verletzte sie. Warum tröstete er sie nicht, froh, sie wiederzusehen? Mathieu befürchtete, sie könnte im nächsten Augenblick in Tränen ausbrechen. Er ertrug es nicht, sie weinen zu sehen. Zu viele Tränen hatte sie auf der Flucht vergossen. »Kommt in die Küche ans Herdfeuer, alle beide«, befahl er gebieterisch.
    Zögernd folgten Ysée und Simon.
    Mathieu schob seine Stiefel aus dem Weg und nahm ein Tuch aus dem Wäschekorb.
    »Hier, trockne dir dein Haar, sonst wirst du wieder krank werden«, kommandierte er, und Ysée folgte gehorsam. Simon verschränkte die Arme vor der Brust. »Du warst krank?«
    Mathieu antwortete für Ysée. »Bist du schon einmal im Winter durch das halbe Königreich geritten? Noch dazu in einem Zustand wie sie? Als wir in Paris ankamen, war sie nicht mehr als Haut und Knochen und hatte hohes Fieber.« Simons Augen wanderten unruhig zwischen Ysée und Mathieu hin und her.
    »Hast du nichts gewusst von Ysées Ausgang in ihrer alten Verkleidung?«
    »Nein«, war Mathieus ehrliche Antwort, und er musterte Ysée dabei gereizt. Er sah, wie sie die Schultern straffte und sich zur Verteidigung wappnete.
    Wie gut kannte er sie mittlerweile wirklich? Wieso war es ihm nicht verdächtig vorgekommen, dass sie in den letzten Wochen ruhig und zu demütig jede Anweisung hinnahm? Er hätte wissen müssen, dass so viel Gehorsam nicht zu der neuen Frau passte, die Widerspruch und Neugier für sich entdeckte. Simon erinnerte sich lediglich an die verzweifelte Ysée von Brügge, die die ketzerische Marguerite Porète bewunderte. »Warst du wegen Marguerite Porète unterwegs? Woher wusstest du von dem Prozess gegen sie?«, fragte er besorgt. »Niemand kann ihr helfen. Zieh dir erst einmal vernünftige Kleider an, Ysée, und bedecke dein Haar. Alles Weitere werde ich mit meinem Bruder besprechen.«
    Mathieu sah das gekränkte Beben ihrer Lippen. Sie bedachte Simon mit einem schwer deutbaren Blick und ging zur Tür. Beide lauschten sie ihren Schritten nach, ehe sie sich aneinander wandten.
    »Ich habe sie unter den Gaffern entdeckt, die Saint Mathurin füllten, als dort das Ergebnis der Untersuchungen bekannt gegeben wurde, die Marguerite Porètes Schicksal besiegelten«, ergriff Simon als Erster das Wort. »Sie zeigte so offensichtliches Mitleid für die Ketzerin, dass es fast die Aufmerksamkeit der bischöflichen Garde erregt hätte. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Ein schmutziger Gassenjunge mit Ysées Zügen?«
    »Und warum hast du so lange gewartet, mich darüber zu informieren?«
    Mathieu nahm einen Krug Wein vom Regal und goss zwei Tonbecher voll, ehe er sich an den Tisch setzte und darauf wartete, dass auch sein Bruder Platz nahm.
    »Ich bin ihr an diesem Tag gefolgt, aber sie verschwand auf dem Pont au

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