Beginenfeuer
Sie verließ die Küche mit erhobenem Haupt. Eine Ehe? Lieber würde sie sich umbringen, als sich einem fremden Mann auszuliefern!
B RUDER S IMON
Paris, Hôtel de Sens, 10. Mai 1310
Die Kerzen in der Kapelle des Erzbischofs flackerten im Zugwind. Im Namen des Glaubens geschah so viel Leid, dass Simon die Gebete nicht mehr über die Lippen wollten. Er hatte sein Leben Gott geweiht, um Frieden zu finden und nie wieder Blut vergießen zu müssen. Und nun? Galten die Gebote Gottes nicht mehr? Woher nahmen die Folterknechte der Inquisition sich das Recht, Menschen so lange zu martern, bis sie falsche Geständnisse ablegten? Wurde dem Christentum Schaden zugefügt, wenn es die spirituelle Kraft einer Marguerite Porète akzeptierte? Warum verbot die Kirche den Frauen das selbstständige Denken? Fürchtete sie ihre Kraft und ihren Mut, ihre selbstständige Lebensweise? Waren Männer tatsächlich so schwach? War es die Gier nach den Reichtümern der Beginen, die die Kirchenväter dazu veranlasste, die Beginengemeinschaften zu verfolgen? Bangten sie um die eigene Wichtigkeit? Fragen über Fragen – Zweifel über Zweifel. An die Beginen zu denken hieß für Simon, an Ysée zu denken. Das dramatische Wiedersehen im Gewittersturm hatte ihm bewiesen, dass er sich selbst belog. Er konnte sie nicht vergessen. Sie bestimmte seine Gedanken und wohl auch seine Zweifel, musste er manchmal feststellen, und sie liebte ihn, da war er sich sicher. Welch ein Wahnsinn, Mathieu zu bitten, ihr einen Mann zu suchen!
»Da seid Ihr ja, Bruder. Seine Eminenz der Erzbischof bittet Euch zu sich!«
Er bekreuzigte sich und folgte dem eifrigen Sekretär, froh, aus seinen Gedanken gerissen zu werden.
Philipp von Marignys Ähnlichkeit mit dem mächtigen Finanzminister Seiner Majestät des Königs von Frankreich ließ keinen Zweifel daran, dass sie Brüder waren. Der Erzbischof trug die offiziellen Gewänder seines neuen Amtes und reichte Simon den Bischofsring zum Kuss. Es war offensichtlich, dass er sich in seiner Rolle gefiel.
»Setzt Euch, Bruder.« Er deutete auf einen gepolsterten Hocker, und Simon nahm mit einem unguten Gefühl Platz. »Ihr müsst mir eine wohlgemeinte Rüge gestatten, mein Freund«, begann der Erzbischof leutselig. »Ihr habt nicht erwähnt, dass Euer leiblicher Bruder zum engsten Kreise der Berater Seiner Majestät zählt.«
»Ich dachte, Ihr wüsstet es, und es schien mir nicht von Interesse, Eminenz«, verteidigte sich Simon verdutzt. »Nicht von Interesse? Ich bitte Euch. Die Zeiten sind schwierig. Die Zerwürfnisse zwischen Krone und Kirche bringen den Klerus in eine extrem komplizierte Situation. Man muss alles tun, um weitere Missverständnisse zu vermeiden. Jeder noch so kleine Hinweis stärkt das Fundament unserer gemeinsamen Zukunft in diesem Königreich.«
Legte ihm der Erzbischof etwa nahe, Mathieu auszuhorchen? »Ich wüsste nicht, welche Hinweise ich geben könnte, die Eminenz nicht ohnehin von Monsieur de Marigny erhalten«, sagte er ohne Umschweife.
Der Prälat zuckte unmerklich zusammen. Der direkte Angriff traf ihn unvorbereitet.
»Im Übrigen kreuzen sich meine Wege und die meines Bruders so gut wie nie«, fuhr Simon fort. »Hinzu kommt, dass ich Paris nach der Hinrichtung der Marguerite Porète verlassen werde. Seine Heiligkeit erwartet meinen Bericht in Avignon.«
»Ach ja, die Ketzerin…« Der Erzbischof klang jetzt deutlich ungnädiger. »Ihr habt sie im Châtelet aufgesucht. Habt Ihr bei der Gelegenheit auch Templer gesprochen?«
»Ich verstehe nicht…«
»Die Flucht Bolognes ist immer noch nicht aufgeklärt…« Was sollte das? Simon witterte Gefahr. Verdächtigte der Erzbischof etwa ihn und Mathieu, etwas mit der Flucht des Rechtsbeistands der Templer zu tun zu haben? Schlagartig fiel ihm die durchnässte Heimkunft seines Bruders ein und seine Erschütterung, als er von der geplanten Hinrichtung der Ordensritter erfuhr. Bist du des Teufels, Mathieu?, fragte er sich stumm. Wie kannst du dich so in die Nesseln setzen?
»Es wäre wichtig, das Rätsel um seine Flucht zu lösen, um uns gegen unsere Feinde besser schützen zu können. Bestimmt werdet Ihr Euren Bruder treffen, bevor Ihr Paris wieder verlasst. Wenn Ihr mir eine Information geben könnt, werde ich mich erkenntlich zeigen. Ich werde bei Seiner Heiligkeit Euren Gehorsam und Eure Frömmigkeit lobend erwähnen.« Das Gespräch war beendet.
Simon verließ den prunkvollen Raum. Dass ihn der Prälat erpressen wollte, den
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