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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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hölzernen Unterbau in Mannshöhe waren Reisigbündel, gespaltene Holzklötze und Scheite zu einem Hügel geschichtet, in dessen Mitte ein mächtiger Pfahl emporragte. Die Verurteilte war mit schweren Ketten an ihn gefesselt. Sie trug ein reines weißes Hemd und hatte das geschorene Haupt in den Nacken gelegt. Sie sah in den Himmel, als erwarte sie von dort die Hilfe, die ihr die Menschen verweigerten. Die Stadtmiliz hielt die Zuschauer im Zaum, und die Garden des Bischofs standen Seite an Seite vor einer Holztribüne. Sie bewachten die kirchlichen Würdenträger, die auf der Tribüne hinter ihnen die Bänke füllten. Lilafarbene Roben, prächtige Soutanen, schimmernde Seide und schlichte Priestergewänder wurden von der Sonne beschienen. Ihre Strahlen brachen sich in den Juwelen und blendeten das Volk, sodass Ysée nur die Umrisse eines jungen Priesters sah, der wie versteinert an der Holztribüne stand.
    Die Trommeln schwiegen, und vier Männer steckten mit brennenden Fackeln das mit Pech getränkte Reisig an. Als die Flammen loderten, kam wieder Bewegung in die Menschenmenge. Einige stießen Entsetzensschreie aus, andere jubelten. Ein Mönch im weißen Habit warf ein Buch in die Flammen. »Ins Feuer mit dem Teufelswerk!« Die Stimme des Generalinquisitors verriet, welches Buch verbrannt wurde. Ysée bemühte sich, Marguerites Gesicht im Rauch zu erkennen. Ihre Lippen bewegten sich zum Gebet.
    Die Hitze wurde unerträglich, die Luft rund um den Scheiterhaufen begann zu flimmern.
    Ysée suchte Kraft in ihrem Zorn. Sie hasste die Männer, die einer Unschuldigen beim Sterben zusahen. Wie sie dasaßen, die Hände fromm gefaltet, die Blicke gierig auf das entsetzliche Schauspiel gerichtet. Einer wie der andere selbstgerecht und verabscheuenswert…
    Ihr Atem stockte, als sie den jungen Priester am Aufgang der Tribüne erkannte. Simon!
    Im selben Augenblick entrang sich der gequälten Brust der Verurteilten ein einziger schriller Schrei der Qual. »Herr, erbarme dich meiner!«
    Die Flammen hatten ihre bloßen Füße und die Hemdsäume erreicht. Hoch auflodernd verbargen sie den zuckenden Körper vor den Augen der Pariser.
    Die Menge reagierte mit einem hysterischen Aufschrei und bedrängte die Männer der Miliz. Es war Ysée nicht ganz klar, ob sie von Sensationsgier oder Mitleid vorwärts getrieben wurden, aber die Situation spitzte sich gefährlich zu. Erstickender Qualm erfüllte die Luft. Ein neuer, zum Erbrechen süßlicher Geruch vermischte sich mit dem Rauch. Brennendes Fleisch.
    Ysée wankte. Ihr Magen rebellierte. Ihr Kopf dröhnte wie von dem Geräusch einer zu straff gespannten Trommel. Im allgemeinen Chaos wurde sie auf die Tribüne zugedrängt. Sie stolperte, wäre gestürzt, hätte sie nicht eine starke Hand gehalten. »Bei allen Dämonen der Hölle, was tust du hier?« Sie starrte in Simons verzerrte Züge. Er war außer sich. »Lass mich«, stammelte sie. »Was ist das für ein Gott, der es zulässt, dass sie Menschen bei lebendigem Leibe verbrennen?« Simon brachte sie kurzerhand zum Schweigen, indem er ihr die Hand auf den Mund legte.
    Er teilte ihr Entsetzen, doch er musste verhindern, dass sie ihr eigenes Leben gefährdete. Schlimm genug, dass sie Mathieu entkommen war und die Garden bereits aufmerksam wurden. Es galt schnell zu handeln.
    Der Himmel war ihr gnädig. Sie verlor die Besinnung. Sie kam erst wieder zu sich, als Simon sie in einen Kahn legte und den Schiffer anwies, sie beide über den Fluss zur Cité zu bringen.
    »Mein Neffe hat zu viel Qualm eingeatmet«, vernahm sie seine einfallsreiche Erklärung. »Erst hat er sich übergeben, bis kein Tropfen mehr in seinem Magen war. Dann ist ihm vor Schwäche schwarz vor den Augen geworden. Ich muss ihn nach Hause schaffen.«
    Die nüchterne Aufzählung entsetzte Ysée. Keine Silbe kam ihr über die Lippen, bis er sie am anderen Ufer, am Kai des alten Hafens, aus dem Boot zog.
    »Wo wollt Ihr mich hinbringen?«, wehrte sie sich, als er nach ihrer Hand griff.
    »Nach Hause. Was denkst du, wohin ich dich bringe?«
    »Ich… ich weiß es nicht«, stammelte sie und wandte den Kopf in Richtung Fluss.
    Die schwarze Säule über dem Place de Grève ließ sie aufschluchzen. Sie glaubte zu zerspringen. Als brächte es ihr die Erlösung, schleuderte sie Simon ihre ganze Empörung ins Gesicht. »Ich hasse die Kirche! Ich hasse dich!«
    Zorn und Verzweiflung stiegen in Simon auf. Zorn über Ysées Leichtsinn. Verzweiflung über die eigene Hilflosigkeit. »Was

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