Beginenfeuer
dann sprach sie zum ersten Mal in ihrem Leben ihren richtigen Namen in voller Länge aus. Ihre Stimme bebte.
»Violante. Violante von Courtenay.«
»Violante«, wiederholte Mathieu und lauschte dem Klang des Namens nach. Erst ihre nächste Frage riss ihn aus seinen Gedanken.
»Courtenay wurde damals von den Andrieus überfallen, nicht wahr? Kinder hören viel, auch wenn man sie zur Seite schiebt und davonschickt.«
»Ihr könnt Euch erinnern?« Es fiel ihm schwer, ihrem Blick standzuhalten.
»Die Dinge und die Erinnerungen fügen sich zusammen«, war ihre einfache Antwort.
Mathieu verzichtete auf eine Bestätigung. Er dachte an Simon. Sein Bruder würde es ihm nicht danken, dass er Ysée oder Violante auf diese Spur gebracht hatte. Nun hatte sie zweifach Grund, ihn aus ihrem Leben zu verbannen und ihre Liebe zu ihm zu leugnen.
Sie hatte den Schutzbrief aufgenommen und las die Zeilen. »Strasbourg? Das ist weit im Norden des Königreiches, nicht wahr?«
»Es liegt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches«, erwiderte Mathieu. »Seit fast fünfzig Jahren ist es Freie Reichsstadt und allein dem deutschen Kaiser Rechenschaft schuldig. Die Lage an einer bedeutenden Handelsstraße macht sie zu einer der wichtigsten Städte am Rhein.«
»Ich soll Frankreich verlassen?« Eine Spur von Panik schwang in ihrer Frage.
»Ihr wolltet so weit wie möglich von Paris weg und auch nicht an Flandern erinnert werden. Strasbourg ist eine reiche, wehrhafte Stadt. Der Fluss und die Kanäle, die sie durchziehen, werden Euch ein wenig an den Weingarten erinnern. Man hat mir gesagt, dass die Beginen dort in befestigten, bequemen Häusern leben und unbehelligt von Magistrat und Zünften ihrem frommen Dienst nachgehen dürfen.«
»Wird man den Schutzbrief des französischen Königs dort anerkennen?«
»Frankreichs Einfluss reicht inzwischen bis an den Rhein. Vor Jahren war sogar die Rede davon, dass König Philipps Schwester den Sohn des deutschen Königs heiraten soll. Der Plan zerschlug sich, aber Strasbourg ist dem König ebenso gewogen wie dem deutschen Kaiser.«
»Wie komme ich dorthin? Werden mich die Schwestern aufnehmen? Ich besitze kein Vermögen, mit dem ich mich in eine Gemeinschaft einkaufen kann.«
Sie wandte sich ohne weitere Einwände den praktischen Fragen zu.
»Macht Euch keine Sorgen. Der König hat auch dafür gesorgt.«
»Sagt ihm meinen Dank.«
Er schwieg. Dass er aus seiner eigenen Tasche für Ysées Zukunft sorgte, brauchte sie nicht zu wissen. Ein Stolz wie der ihre akzeptierte die Hilfe des Königs, aber nicht die seine, die eines Andrieu. »Ihr könnt Eure Sachen packen, dass man sie auf ein Pferd schnallen kann. Ich beabsichtige, Euch selbst nach Strasbourg zu bringen.«
»Ihr duzt mich nicht mehr?«
Halb Frage, halb Feststellung, trieben die Worte eine schwache Röte in seine Wangen.
»Ihr seid nicht länger die Begine Ysée. Violante von Courtenay ist eine Edeldame, der ich Respekt schulde. Auch meine Dienste, denn sie ist durch die Schuld der Andrieus ins Unglück geraten.«
Sie ergriff den Schutzbrief und stand auf. Mathieu erstarrte, als sie ihm völlig unerwartet die Hand auf den Arm legte. Ihre panische Angst vor fremden Berührungen machte die Geste besonders eindringlich.
»Ihr seid mir nichts mehr schuldig, Seigneur. Ihr habt genug für mich getan.«
»Bei Gott, ich habe jämmerlich wenig getan«, widersprach er. »Ihr täuscht Euch. Ihr habt die Begine Ysée gerettet, gescholten, gepflegt und beherbergt. Ihr habt mehr Mühe für sie auf gewendet als je ein Mensch zuvor, und Ihr habt weniger dafür verlangt als andere.« Sie löste den Griff und trat ans Fenster.
Mathieus Augen versuchten den Umriss ihrer schlanken und doch so weiblich anmutigen Gestalt für immer festzuhalten. Es fiel ihm schwer, sich abzuwenden und die Kammer zu verlassen. Er stürzte sich in die Hektik augenblicklicher Reisevorbereitungen, um den eigenen Gedanken zu entfliehen. Jean Vernier war der Einzige, der gegen den bevorstehenden Ritt nach Norden protestierte. Er sah keinen Sinn darin. »Wieso kann sie nicht in Paris bleiben?«
»Sie will wieder unter ihresgleichen leben«, erwiderte Mathieu betont gleichmütig. »Wollen wir uns weigern, ihr diesen Gefallen zu tun?«
»Hör auf, einen alten Mann zum Narren zu halten«, brummte der Waffenmeister ungnädig. »Du willst ebenso wenig, dass sie geht, wie ich. Du würdest barfuß nach Andrieu gehen, könntest du sie damit halten.« Er erhielt keine Antwort. Er hatte
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