Beginenfeuer
auch keine erwartet.
B RUDER S IMON
Avignon, Kloster der Dominikaner, 26. Juni 1310
Die Hitze brütete über dem Fluss und der Stadt. Die Luft flimmerte und rief in Simon die unliebsame Erinnerung an lodernde Flammen wach. Obwohl ihn die Reise den Fluss hinab in wenigen Tagen von Lyon nach Avignon gebracht hatte, fühlte er sich erschöpft und ausgelaugt, als er in den Schatten des Kreuzganges trat.
Weder der Erzdiakon noch Seine Heiligkeit befanden sich im Kloster. Sie hatten sich in die kühleren Berge der Grafschaft Venaissin zurückgezogen, wo ihnen der Bruder des Königs, Charles II. von Anjou, in den heißen Sommermonaten Gastfreundschaft in einem seiner Schlösser bot. »Und mein Bericht?«, hatte Simon in der Amtsstube des Heiligen Vaters gefragt. Er war nach Avignon geeilt, in der Annahme, dort ungeduldig erwartet zu werden. »Seine Heiligkeit wird sich damit befassen, wenn es an der Zeit ist«, hatte er von einem Sekretär als Antwort erhalten. »Geduldet Euch bis dahin.«
Er hatte nicht gewusst, ob er erleichtert oder verärgert sein sollte. Der schreckliche Tod der Marguerite Porète und das verzweifelte Sterben der Tempelritter schienen in Avignon niemanden sonderlich zu bewegen. »Seine Heiligkeit ist in die Berge verschwunden, um den Kurieren und Bitten der Tempelritter zu entfliehen«, erklärte ihm der Dominikanermönch, dessen Pritsche im Dormitorium neben der seinen stand. »Es bedrückt ihn, ständig Berichte von Folterungen und Verbrennungen hören zu müssen.«
»Er sollte diese Barbarei nicht zulassen und sich fragen, was die Menschen empfinden, die es mit ansehen müssen«, erwiderte Simon bitter. »Du warst in Paris.«
Der Alte wusste es, obwohl Simon es mit keinem Wort erwähnt hatte.
»Die Scheiterhaufen lodern überall«, erwiderte er, ohne die Frage zu beantworten. »Warum unternimmt der Heilige Vater nichts gegen die Verfolgung der Templer?«
»Bruder, seid Ihr wirklich so wenig informiert? Glaubt Ihr, der Heilige Vater hätte auch nur die geringste Chance, den Templern zu helfen? Er ist froh, wenn er sich selbst vor dem König rettet. Verteidigt er die Templer, läuft er Gefahr, selbst der Ketzerei angeklagt zu werden. Der französische König hat zu viel Macht.«
Simon fiel es schwer, das Gehörte zu glauben. Er erhob sich von seiner Pritsche und kehrte an seinen Platz in der Schreibstube des Papstes zurück. Die Korrespondenz, die er las, trug nicht dazu bei, die Lage wirklich einschätzen zu können. Le terrible setzte seine Vernichtungspolitik gegen den Templerorden kaltblütig fort. Die so hoffnungsvoll nach Paris gereisten Ordensritter mussten sich vor den königlichen Schergen in Sicherheit bringen. Das Schweigen Seiner Heiligkeit entmutigte auch die letzten Bischöfe, die in der Untersuchungskommission für Gerechtigkeit plädierten. Die Templer in ihren Verliesen schöpften derweil vorsichtig Hoffnung, weil Wochen vergingen, ohne dass neue Scheiterhaufen errichtet wurden.
Die Rückkehr des päpstlichen Haushaltes nach Avignon, zu Beginn des Monats September, beendete den sommerlichen Frieden des Dominikanerklosters. Simon berichtete einem erkennbar gelangweilten Erzdiakon von seinen Beobachtungen in Brügge und Paris.
Pellegrue fegte ein kaum sichtbares Stäubchen von seiner Soutane und zuckte mit den Schultern.
»Die Beschwerden häufen sich. Der Erzbischof von Mainz hat den Beginen von Frankfurt unter förmlicher Androhung der Exkommunikation das Predigen verboten. In Köln gibt es Ärger mit den Seidenwebern und in Brügge, wie Ihr bestätigt, mit den Tuchhändlern. Im Norden des Königreiches Frankreich wächst die Zahl der bettelnden und wandernden Beginen, und die Gerüchte über ihren unsittlichen Lebenswandel nehmen zu. Ich denke, wir können die Beweisaufnahme abschließen und darangehen, ein Dokument zu erstellen, das die förmliche Verurteilung des Beginenstandes beinhaltet.« Simon verbarg nur mit Mühe sein Entsetzen. Hatte ihm der Erzdiakon überhaupt zugehört?
»Seid Ihr nicht zu streng mit Eurem Urteil?«, wagte er einzuwenden. »Es sind nur wenige, die Anstoß erregen. Der Großteil der frommen Frauen hält sich an die christlichen Gebote und tut Gutes.«
»Das können sie auch in einem Orden«, sagte Pellegrue knapp. »Es war ein Irrtum, diese Zusammenschlüsse zu dulden.« Simon erhielt keine Gelegenheit, die Beginen erneut zu verteidigen. Der Erzdiakon beendete die Audienz, ohne ihn ein weiteres Mal zu Wort kommen zu lassen.
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