Beginenfeuer
Möglichkeit finden, den Kardinal von ihrer Spur abzubringen«, sagte er leise. »Warum sollte ich das müssen?«
Pellegrues Miene wurde zunehmend finsterer, während er Simon zuhörte.
»Das habt Ihr Euch ja gut ausgedacht«, knurrte er gereizt, als er geendet hatte. »Ist Euch bewusst, was Ihr für diese eine Sünde opfert? Ist sie das wert?«
»Werdet Ihr mir helfen, Eminenz?«
Die Gegenfrage veranlasste den Prälaten zu einem unwilligen Laut.
»Ich weiß immer noch nicht, warum ich es tun sollte«, erwiderte er ärgerlich.
»Weil Euch daran liegt, dass kein zusätzlicher Skandal dieses Konzil belastet. Weil Ihr nicht wollt, dass die italienischen Kardinäle mit ihren Machenschaften in der Kurie Erfolg haben, und weil es unmöglich ist, einer französischen Edeldame das anzutun, was bei einer Begine noch hingenommen wird.«
»Hört auf«, befahl Pellegrue erbost. »Wenn Ihr mir beweisen wollt, welch klugen Kopf ich verliere, wenn ich Euch folge, könnte ich in meinem Entschluss wankend werden. Ich könnte Rat von meinen Brüdern einholen.«
»Dies ist eine Beichte, Eminenz.«
Ihre Blicke trafen sich. Simon hielt denen des Erzdiakons stand, bis jener ihm ein Zeichen gab, sich zu entfernen. Er vergaß, eine Buße auszusprechen. Vielleicht hielt er die selbst gewählte Buße für ausreichend.
M ATHIEU VON A NDRIEU
Vienne, Herberge »Zur Alten Mühle« , 26. Oktober 1311
Der nächtliche Spaziergang am Ufer des Flusses klärte seinen Kopf. Mathieu sah zur Innenstadt mit der Kathedrale hinüber. Vor den Häusern der Domherren und rund um den Palast des Erzbischofs loderten Fackeln und Feuertonnen. Sie setzten rötliche Punkte in die Dunkelheit, aber wenn der Regen kam, nach dem die Luft bereits roch, würden sie eine nach der anderen erlöschen.
Ob Jean und sein Neffe Dijon schon wieder verlassen hatten? Ohne den Alten und Jeannot kam er sich unerwartet einsam vor. Bislang hatte er stets geglaubt, auf niemanden angewiesen zu sein, nun wurde er eines Besseren belehrt. Er bekämpfte seine Gefühle, indem er Pläne schmiedete. Jeder Einzelne drehte sich um Andrieu.
Er versuchte sich an die Namen der Pächter und des Gesindes zu erinnern. Der Herr sollte sie alle kennen, richtig einschätzen und einsetzen können. Sie mussten ihm gehorchen, aber ihm lag daran, auch ihren Respekt zu erwerben. »Ein Silberstück für deine Gedanken. Du würdest es nicht einmal hören, wenn ein Felsbrocken neben dir aufschlägt.« Simons Stimme brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. »Bruder! Es war an der Zeit, dass du dich bei mir sehen lässt. Was ist geschehen? Erzähle. Gab es denn keine Möglichkeit, mir eine Nachricht zu schicken?« Er umarmte Simon eine Spur zu fest. »Beherrsche dich, Kriegsknecht. Ich muss mit dir reden.«
»Komm, wir gehen in meine Stube, dort kann uns der Wirt etwas zum Essen bringen. Du klingst aufgebracht. Was hat dich in diesen Zustand versetzt? Plant Seine Heiligkeit einen neuen Kreuzzug gegen die Heiden?«
Simon war nicht in der Stimmung für oberflächliches Geplauder. »Du bist allein? Wo steckt der Waffenmeister?«
»Ich habe ihn nach Andrieu geschickt.«
»Und die anderen Männer?«
»Schlafen oder bevölkern die Schänken von Vienne.« Der Wirt brachte das Mahl und den Wein. Mit steigender Verblüffung sah Mathieu zu, mit welcher Geschwindigkeit Simon alles verschlang. Die Zeiten bußfertigen Fastens schienen vorüber zu sein.
»Willst du mir sagen, was dich herführt? Gehen dem Erzbischof von Vienne die Nahrungsvorräte für seine Gäste aus?«
»Essen ist das geringste meiner Probleme«, erwiderte Simon trocken und erzählte in knappen Worten die Geschehnisse der vergangenen Tage.
Mathieu ließ sich keine Gefühle anmerken, obwohl ihn der Bericht aufwühlte.
»Wie können wir Violante von Courtenay vor Colonna schützen?«
»Das habe ich bereits veranlasst. Der Erzdiakon Pellegrue hat sie unter den Schutz des Papstes gestellt. Sie kann im Palast bleiben, bis sie sich entschieden hat, wie und wo sie leben will. Am sichersten wäre, sie würde dich nach Andrieu begleiten. Aber ich will es ihr überlassen. Du weißt, wie empfindlich sie auf Anweisungen reagiert. Mit Zwang und Drohung erreicht man bei ihr das Gegenteil.«
»Und was unternimmst du wegen Colonna? Da du dich dem Erzdiakon anvertraut hast, kannst du schlecht für ihn spionieren.«
»Er hat mir bis zu meinem Namensfest Zeit gelassen, mich zu entscheiden. Er wartet ab, weil er denkt, er hätte bereits
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