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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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Dilemma! Was sollte er tun?
    Es war ihm klar, dass die Frage von Violantes Erbe in Brügge und in Burgund geklärt werden musste. Als einzige Überlebende der Courtenays hatte sie Ansprüche an den Herzog von Burgund. Die elterliche Burg mochte zerstört sein, das Lehen und die Ländereien waren es nicht. Ebenso war sie die rechtmäßige Erbin des Handelshauses Cornelis. Was das bedeutete, erklärte schon allein ein Blick in dieses kostbar möblierte Sterbegemach.
    Ysée spürte, dass sie beobachtet wurde. Sie versuchte das unangenehme Gefühl zwischen ihren Schulterblättern nicht zur Kenntnis zu nehmen. Es war sicher nur all das Neue und Ungewohnte, das sie so empfindlich machte. Wäre sie doch nur schon wieder in den schützenden Mauern des Weingartens! Die wohlklingende Stimme Bruder Simons, der die Sterbegebete für die Tote sprach, veranlasste sie, den Blick zu heben und den frommen Mann zu betrachten. Pater Felix, der den Beginen die Messe las, sprach weder so flüssiges Latein, noch war er eine beeindruckende Erscheinung. Körpergröße, Schulterbreite und Bewegungen des jungen Mönchs verrieten Kraft und Stärke. Am faszinierendsten fand Ysée jedoch das strenge Antlitz mit den flammenden Augen, die ihr jetzt nicht mehr schwarz, sondern dunkelblau erschienen. Tiefblau wie der Mitternachtshimmel, wenn er von Sternen erleuchtet wurde. Als sich ihre Blicke erneut trafen, hatte sie das Gefühl, als lege sich eine Fessel um ihr Herz. Ein Band, so unverhofft geschlungen, dass ihr die Hitze in die Wangen stieg und ihr Atem sich beschleunigte. Die Wärme verflog wieder, doch ein höchst eigenartiges Gefühl blieb zurück. Die Gewissheit, dass sie auf rätselhafte Weise mit diesem Mann verbunden war, der aussah wie ein Erzengel. Es fehlte ihm nur das Flammenschwert. Aber es bereitete ihrer Phantasie keine Schwierigkeiten, ihn statt des Mönchsgewandes in Rüstung und Schwert vor sich zu sehen. Irgendwie glaubte sie diesen Anblick schon einmal gehabt zu haben.
    Sie errötete, weil sie sich nicht entsinnen konnte, seit wann sie ihn schon anstarrte. Auf jeden Fall viel zu lange, denn jetzt vernahm sie seine Stimme mit einem Unterton von Ungeduld und Verärgerung.
    »Wollt Ihr nicht die Beginen nach Hause schicken? Sie haben ihre Pflicht getan, und es verwundert mich ohnehin, sie ausgerechnet unter Eurem Dache zu finden.«
    »Ja nun.« Der Kaufmann verschränkte die Arme vor seiner mächtigen Brust und schüttelte den Kopf wie ein störrischer Zugochse. »Es ist gute Sitte in Brügge, nach ihnen zu rufen, wenn jemand stirbt. Sie lesen die Fürbitten und begleiten die arme Verstorbene zum Begräbnis. Sie lassen am siebten und am dreißigsten Tag nach dem Tod die Messe lesen und erinnern uns an den Todestag im nächsten Jahr. Man braucht sie für all diese Dinge.«
    In deinen Briefen an Seine Heiligkeit warst du nicht so voll des Lobes über die frommen Frauen, mein Freund, dachte Bruder Simon entrüstet über so viel Heuchelei.
    »Es ist Sache eines Priesters, die Fürbitten zu lesen. Es geht nicht an, dass Frauen das Wort Gottes verbreiten und sich gar anmaßen, es verstehen zu wollen. Dafür sind sie nicht geboren«, wies er Cornelis ganz im Sinne seiner Kirche zurecht. Er entdeckte den offenen Widerspruch im Blick des Mädchens und begegnete ihm mit aller gebotenen Strenge. Allein, sie senkte auch dieses Mal nicht die Lider. Sie schaute aus unverwechselbaren grünen Augen zurück, und er fühlte sich um zehn Jahre zurückversetzt. Damals war sie ein Kind gewesen. Ein verzweifeltes kleines Mädchen, das nicht wusste, was mit ihm geschah. So wie es aussah, wusste sie es immer noch nicht. Hatte nicht die Verstorbene erwähnt, dass ihr Geist Schaden gelitten habe?
    »Sag deiner Schwester, dass sie den Anstand verletzt.« Schroff erinnerte er die ältere Begine an ihre Aufsichtspflicht. »Es gehört sich nicht, dass sie einen Mann direkt ansieht. Kann sie das begreifen?«
    »Natürlich, ehrwürdiger Vater.« In Alainas Stimme schwang Verblüffung. Ysée mochte eigensinnig sein, aber ihr Verstand war eher zu wendig als zu träge. »Verzeiht, das Mädchen tut zum ersten Mal seine Pflicht in einem Todesfall. Es ist noch in der Ausbildung.«
    Ysée vernahm erstaunt, dass sie von Alaina verteidigt wurde. Sie ahnte nicht, dass die zweite Meisterin für die gesamte Beginengemeinschaft stritt und nicht für ein einzelnes, unwichtiges Mitglied. Etwas an der Haltung dieses fremden Mönchs sagte der erfahrenen Frau, dass im Umgang mit

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