Beginenfeuer
ihm Vorsicht geboten war. Je weniger sich die Beginen mit der Autorität der Kirchenmänner anlegten, umso unbehelligter blieb ihre Gemeinschaft.
»Bete!«, zischte sie und sah erleichtert, dass Ysée mit blassen Wangen dem Befehl gehorchte.
Die Zeit verrann mit dem Wachs der Stundenkerze, und Ysée beneidete die friedliche Tote. Mareike Cornelis schlief fern von allen menschlichen Gefühlen einen ewigen Schlaf und musste sich nicht vor einer strengen Lehrerin verantworten.
D RITTES K APITEL
Pflichten
G EHORSAM
Beginenhof vom Weingarten am Allerseelentag 1309
»Beginen sollen beständig und treu sein in der Arbeit, denn durch Arbeit gewinnen sie ihr Brot und tun Buße; dank ihr widerstehen sie der Versuchung und der Krankheit des Leibes, durch die die Seele zerstört wird; durch Arbeit erlangen sie hier auf Erden die Gnade Gottes und den ewigen Ruhm im Himmel. Je eher du dir das merkst, Mädchen, umso besser wird es für dich sein.«
Ysée versuchte unterwürfig zu erscheinen. Wenn sie widersprach, würde Berthes Freundin, Schwester Josepha, dies als erneuten Verstoß gegen die Regeln des Beginenhofes werten. Manchmal fühlte sie sich, als würde sie in Stücke gerissen. Sie konnte weder Alaina etwas recht machen noch Berthe, die sie ständig herumkommandierte, oder Josepha, die nur zu gerne auf sie einhackte, um Berthe zu gefallen. Warum lassen sie mich nicht alle in Frieden?
»Du wirst ewig Schülerin und Novizin bleiben«, sagte Josepha, als hätte sie den stummen Ausruf gehört, aber sie sah dabei Berthe an, die ihrem Vortrag mit erkennbarer Bewunderung lauschte.
Beide Frauen gaben einander etwas, das Ysée mit Neid und Wut zugleich erfüllte. Josepha benötigte Berthes Bewunderung und schenkte ihr im Gegenzug jene Zuneigung, nach der Ysée sich vergeblich sehnte. Man musste die beiden nur ansehen, wie sie gemütlich vor dem Feuer saßen, schwatzten und den vollen Wollkorb ebenso vernachlässigten wie die schmutzigen Schalen und Töpfe auf dem Tisch. Beide verstanden es vortrefflich, sich vor ihrem Teil der Arbeit zu drücken. Das tägliche Säubern des kleinen Häuschens, das Wasserholen, Kochen und Waschen war Ysées Aufgabe, seit sie den hölzernen Wassereimer zum Brunnen schleppen und die schweren Laken zum Bleichen auslegen konnte. Die vornehmeren Beginen, die rund um den Kirchplatz lebten und die ihre Häuser mit eigenen Mitteln gekauft und eingerichtet hatten, beschäftigten eine Hausmagd. Berthe hatte nur Ysée, also tat sie die Arbeit der Magd. Die meisten anderen Schwestern versorgten ihren kleinen Haushalt mit eigenen Händen. Alle gemeinsam legten sie besonderen Wert auf peinliche Sauberkeit und Ordnung. Ysée bemühte sich ehrlich, diese Anforderungen zu erfüllen. Da sie jedoch in den vergangenen Tagen den größten Teil ihrer Zeit an Alainas Seite verbracht hatte, entsprach das winzige Häuschen weniger denn je dem Ideal beginischer Lebensweise. Berthe hatte wie üblich keinen Besen angefasst, und im Wassereimer bedeckte ein schaler Rest den Holzboden. Es ist die Pflicht einer braven Tochter, ihrer Mutter zu helfen und für sie zu sorgen, Ysée. Wenn du es nicht tust, werden sie Verdacht schöpfen, dass du nicht mein Kind bist. Dann droht uns beiden Schlimmeres als der Tod. Willst du das? Die ständig wiederholte Drohung hallte in Ysées Kopf nach. Sie war müde und erschöpft von einem Tag voller neuer Aufgaben und dem schwierigen Versuch, der zweiten Meisterin alles recht zu machen, aber das kümmerte weder Berthe noch Josepha. Sie unterdrückte einen Seufzer und machte sich als Erstes daran, den Tisch abzuräumen und zu scheuern.
»Nun erzähl schon, wie sieht es aus im Haus von Cornelis?«, fragte Josepha unerwartet, während Ysée die Essensreste aus den Holztellern kratzte und die Töpfe einweichte. »Stimmt es, dass er die Böden mit fremdartigen Teppichen bedeckt und nicht mit Binsen und Kräutern bestreut? In welchem Gewand tritt seine Frau vor ihren Schöpfer?«
Berthe gab einen erstickten Laut von sich und schnappte angestrengt nach Luft.
»Heilige Mutter Gottes, was ist mit dir, Schwester?« Josepha klopfte ihr kräftig auf den Rücken. »Etwas zu trinken, Mädchen, schnell. Deiner Mutter geht es nicht gut.« Der Schlag löste Berthes Erstarrung. Sie fuhr so hastig herum, dass Ysée erschrak und einen Teil des Weines vergoss, den sie ihr mit Wasser verdünnt in einem Holzbecher reichte. »Kannst du nicht aufpassen?«, schimpfte Josepha. »Ich möchte wetten,
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