Beginenfeuer
seinem Gürtel zurück. Die fettigen Finger wischte er am Innensaum seines Wamses ab, wie es Sitte war. Gleichzeitig beobachtete er seinen Gastgeber unter halb gesenkten Lidern aufmerksam. Kein Zweifel, Piet Cornelis schluckte nicht nur am Aal und der Safransoße schwer. Die ausflüchtige Antwort seines Gastes missfiel ihm offensichtlich. Es verging geraume Zeit, ehe er sich den Mund achtlos mit dem Handrücken säuberte und Mathieu fest in die Augen sah.
»Seine Majestät misstraut den Flamen also trotz des Friedensschlusses.«
»Wollt Ihr ihm dies nach Kortrijk verübeln? Die edelsten Familien Frankreichs leiden bis heute unter dem Aderlass dieser Schlacht.«
»Dafür erzählt man sich in Brügge, in Paris würden die Priester von den Kanzeln predigen, dass ein neuerlicher Feldzug gegen die Flamen so verdienstvoll wäre wie ein Kreuzzug gegen die Heiden. Zudem wären die Flamen leichter zu erreichen.« Cornelis machte eine bedeutsame Pause und legte den Kopf schief. »Hat Flandern dies verdient? Seine Majestät erhält eine jährliche Rente von zehntausend Livres von unseren Städten. Ihr könnt nicht ermessen, wie schwer allein Brügge unter seinem Anteil an dieser Summe trägt.«
»König Philipp von Frankreich lässt sich seine Entscheidungen weder von der Kirche diktieren, noch verspürt er den Wunsch, von Neuem eine Armee in den flämischen Sümpfen zu verlieren«, erwiderte Mathieu offen. »Ihr könnt versichert sein, dass solche Gerüchte jeder Grundlage entbehren. Der König plant keinen Krieg gegen Flandern, gleichgültig, welchen Unsinn einige Wichtigmacher verbreiten. Er wünscht Frieden in dieser Grafschaft. Er hat wichtigere Sorgen.«
»Den Orden der Templer?«
»Ihr seid gut informiert, Herr Cornelis.«
»Man hört dies und das an den Kais und in der Waterhalle. Es herrscht kein sonderliches Einvernehmen zu diesem Thema zwischen Seiner Heiligkeit dem Papst und der Krone.«
»Da wisst Ihr mehr als ich.«
Piet Cornelis spürte, dass sein Gast zu keinen weiteren Auskünften mehr bereit war.
B RUDER S IMON
Brügge, Beginenhof, 18. November 1309
Er schätzte die absolute Stille eines Gotteshauses, das er ganz für sich hatte. Allein mit seinem Schöpfer fand er im Glauben an die Allmacht der göttlichen Gerechtigkeit stets Trost und Stärke. In der Kirche des Beginenhofes suchte er freilich umsonst nach diesem Gefühl von Geborgenheit und Wahrhaftigkeit. Lag es an der besonderen Art seiner Probleme oder an der Atmosphäre dieses allein von Frauen genutzten Andachtsortes?
Er hatte von Anfang an unter seinem Dach die Strenge vermisst, die Mahnung zur Askese und Buße. Hier schien alles zu heiter und zu verspielt für tief empfundene Gottesfürchtigkeit. Die bunte Mutter Gottes mit der Weintraube und dem lockigen Knaben auf dem Arm, die Kupferkannen mit den Herbstlaubzweigen und die duftenden Kerzen gaukelten ein Idyll vor, das seinem leidenschaftlichen Glauben zu weich, zu weiblich und zu wenig aufrichtig erschien. Die sanft lächelnde Muttergottesfigur, vor der Ysée so oft ihre Gebete verrichtete, war ihm dabei ein besonderes Ärgernis.
Seine eigene Mutter, Magloire von Andrieu, hatte dafür gesorgt, dass er allen Illusionen von Mutterliebe misstraute. Simon entsann sich der strengen, herrischen Frau, die vom Morgengebet bis zum letzten Paternoster vor dem Schlafengehen Hass gegen Thomas von Courtenay und die Seinen gepredigt hatte. Unversöhnlich, hart und erbarmungslos hatte sie Rache gefordert. Dabei hatte sie, in Seidenstoffe gehüllt und mit makellosen weißen Händen, ein anrührendes Bild weiblicher Anmut und Schwäche kultiviert.
Allmächtiger Gott, steh mir bei, wohin verirren sich meine Gedanken? Das ist vorbei. Es geschah in einem anderen Leben. Ich habe ihr verziehen, oder etwa nicht? Simon massierte sich die Schläfen, aber der dumpfe Schmerz hinter der Stirn ließ nicht nach. Er ahnte, weshalb die Vergangenheit derart gebieterisch um seine Aufmerksamkeit heischte. Das Wissen, dass die einzige Erbin des Seigneurs von Courtenay in einer Armenhütte des Beginenhofes lebte, beschwerte sein Gemüt, und das Geheimnis der verstorbenen Mareike Cornelis brachte ihn um den Schlaf. Ganz zu schweigen von den sündhaften Wünschen ihres Gatten, der nicht nur eine Begine, sondern auch noch sein eigen Fleisch und Blut begehrte. Er schlug das Kreuz und erhob sich mit einem jähen Ruck von den Knien. Wenn der Himmel ihm die Erleuchtung verweigerte, musste er das Dilemma eben mit
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