Beginenfeuer
flandrischer Freund.«
»Wird wohl so sein«, räumte der Hafenarbeiter ein und nahm dankend einen der Holzkrüge mit Bier, den eine Magd dermaßen heftig auf den Tisch knallte, dass helle Schaumflocken in alle Richtungen flogen. »Aber die Reichen ertragen ihre Schicksalsschläge wenigstens mit vollem Magen und leiden unter warmen Decken. Unsereins ist nicht so gut bestallt. Besonders in diesen Zeiten, wenn der Winter bevorsteht, die Schiffe ausbleiben und keiner mehr Lastenträger braucht.« Jean Vernier wischte sich den Bierschaum mit dem Handrücken von der Oberlippe, während sein Herr einen donnernden Rülpser ausstieß, der die Flamen rundherum endgültig davon überzeugte, dass sie es bei ihm mit ihresgleichen zu tun hatten. »Herrscht deswegen solcher Aufruhr hier drinnen? Weil es zu wenig Arbeit gibt?« Mathieu verstand es, genau das richtige Maß zwischen Neugier und Torheit zu finden, sodass der Hafenarbeiter ein unwilliges Grunzen von sich gab und bereitwillig den Grund für die Missstimmung kundtat.
»Sie schreien, weil die Tuchpreise in diesem Jahr so schlecht ausgefallen sind.«
»Was erzählst du da? Unser Herr hat geflucht, weil Cornelis die Preise schon wieder erhöht hat. Für das gleiche Geld vom letzten Jahr hat er weniger Ballen bekommen.«
»Holzkopf«, erwiderte der Flame geradezu freundlich. »Dein fluchender Pfeffersack wird sich an seinen Kunden schadlos halten. Die Händler kommen immer zurecht. Aber jene, die das Tuch herstellen, die Weber, Walker und Färber, die müssen die Zeche zahlen.«
»Das musst du uns schon genauer erklären.« Jean Vernier mischte sich ein und spielte die Komödie mit, die sein Herr so geschickt begonnen hatte.
»Wenn’s weiter nichts ist.« Mit jedem Krug wurde der Lastenträger gesprächiger. »Von der großen Sporenschlacht habt ihr bestimmt gehört, in der die Flamen eurem König eins auf die Nase gegeben haben? Die Männer, die da gesiegt haben, waren Handwerker wie jene hier in der Schänke. Männer mit blauen Färberhänden und vielen hungrigen Mäulern daheim. Sie haben sich von ihrem Sieg mehr Freiheit erhofft. Das Recht, zu arbeiten und zu verkaufen, was sie mit ihren eigenen Händen produziert haben.«
»Na, das tun sie doch«, behauptete Mathieu und kratzte sich dieses Mal unter der Achsel.
Mit der Zeit beschlich ihn die unheilvolle Ahnung, dass er mit den schmutzigen Kleidern auch eine Reihe von mehrbeinigen Mitbesitzern erstanden haben musste.
»Mein Herr sagt, dass am Ende sogar die rebellischen Tuchhandwerker mit dem Frieden einverstanden waren, den der Herr Graf in diesem Frühjahr für Flandern ausgehandelt hat.«
»Das glaubst auch nur du, Burgunder. Was hat er ihnen denn gebracht, dieser lausige Friede? Sie sind weiterhin auf Handelsherren wie Piet Cornelis angewiesen, damit sie ihr flämisches Tuch nach Paris und Nowgorod schaffen und es dort an den Mann bringen können. Also sind’s die Pfeffersäcke, die den Handwerkern die Ware abkaufen und den Preis dafür bestimmen. Wenn sie sagen, die Geschäfte gehen schlecht, dann müssen es die armen Teufel an den Färberbottichen und an den Webstühlen glauben oder statt Brot Tuchballen essen.« Die nächste Runde Bier landete vor ihnen, und die flinke Magd strich zufrieden die Kupfermünzen ein, die Mathieu bereitwillig dafür hingab.
»Und? Gehen die Geschäfte schlecht?«, erkundigte er sich danach.
»Das heißt es allgemein.« Der Flame schaute viel sagend in die Runde. »Schau dich um, sehen so Männer aus, die keine Sorgen haben?«
Mathieu musste ihm Recht geben. Dabei waren es weniger die Gesichter, die ihm zu denken gaben, als die gereizte Atmosphäre. Ein dummes Gerücht, und die Männer würden ihrem Groll freien Lauf lassen. Was geschah, wenn diese Handwerker zu den Waffen griffen, hatte die Brügger Mette auf verheerende Weise gezeigt. Jetzt begriff er, warum ihm Jean geraten hatte, mit eigenen Augen und Ohren unterwegs zu sein. »Kennt man die Gründe dafür?«, erkundigte er sich bedächtig. »Die Steuern und Abgaben an den König, die Gefahren der Handelswege, die Stürme auf dem Meer und weiß der Teufel was noch«, zählte sein flämischer Informant auf. »Die Stimmung in der Stadt ist schlecht. Ein falsches Wort, und sie gehen aufeinander los.«
»Wer? Die Handwerker auf die Händler?« Der Lastenträger grunzte verneinend. »Die sind zu sehr aufeinander angewiesen. Nein, sie suchen noch nach einem Sündenbock, den sie unter großem Getöse aus der Stadt treiben
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