Beginenfeuer
können, damit sie seine Besitztümer unter sich aufteilen können, so wie es euer König mit den Juden und den Lombarden gemacht hat. Nehmt euch in Acht, in Brügge waren es schon einmal die Franzosen, denen es in einer solchen Lage an den Kragen gegangen ist.«
Mathieu ließ sich Zeit mit der passenden, treuherzigen Antwort. Er leerte seinen Krug, und als er ihn wieder absetzte, sah er aus den Augenwinkeln einen Mann, der sich humpelnd durch die Menge in der Schänke zur Türe drängte. Der fahle, blonde Haarschopf und die hölzernen Bewegungen waren unverkennbar. Es war Josse, Cornelis’ Diener, der angeblich aus reiner Mildtätigkeit so überreich versorgt worden war. War es etwa sein unliebsamer Auftrag, den Aufruhr in der Stadt zu schüren? Er gab einem spontanen Impuls nach, stemmte sich gegen den Tisch und schwang die Beine zum Aufstehen über die Bank.
»Ich muss zum Abtritt, Freunde.«
Ein schneller Blick bannte seinen Waffenmeister auf den Platz und in das Gespräch mit dem Flamen, während er vermeintlich schon ein wenig schwankend hinausschlurfte. Sobald die Tür hinter ihm zufiel, richtete er sich auf und glitt blitzschnell aus dem kleinen Lichtfleck, der vor dem Eingang des Gasthauses eine gelbliche Schneise in die dunkle Gasse schlug. Nach wenigen Lidschlägen hatten sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt. Er blickte die durchgängigen Hausreihen zu beiden Straßenseiten entlang, deren spitze Giebel sich in den oberen Stockwerken so weit vorneigten, dass kaum ein Stück Himmel darüber frei blieb.
Der böige Wind des Tages hatte sich zu einem beginnenden Sturm verstärkt und jagte dunkle Wolken über den fast vollen Mond. Hellere Phasen und absolute Dunkelheit wechselten einander in schneller Folge ab. Andrieu entdeckte Josse gerade noch, ehe er aus der Noordstraat in die nächste Querstraße einbog, die geradewegs auf den Weingartenplatz führte. Er hinkte eilig eng an den Hauswänden vorbei.
Irgendetwas am Benehmen des Knechtes weckte den Argwohn Mathieus. Es war offensichtlich, dass Josse nicht gesehen werden wollte und dass er in größter Hast einem Ziel zustrebte. Er überquerte ungelenk den Platz vor der schmalen Brücke des Beginenhofes, schaute sich prüfend um und wurde im nächsten Augenblick von der Nacht verschluckt.
Als Mathieu die Stelle erreichte, unterdrückte er einen Fluch. Unter den tief hängenden Weidenzweigen an der Reie hatte ein Boot auf den Hinkenden gewartet. Nun ruderte er im Schatten der Mauern des Beginenhofes davon. Der Wind pfiff dermaßen, dass man nicht einmal das hastige Eintauchen der Ruder in die Wasseroberfläche vernahm.
Was zum Donner bedeutete diese Aktion? Das verzweigte Kanalnetz von Brügge erlaubte es, viele Wege auf dem Wasser schneller zurückzulegen als an Land, aber doch nicht in Nacht und schwärzester Dunkelheit. Es sei denn, man hatte etwas zu verbergen. Fand sich hier die Antwort auf die Frage, weshalb es Piet Cornelis so unangenehm gewesen war, dass der königliche Gesandte Zeuge seiner Auseinandersetzung mit dem Knecht geworden war?
Nachdenklich blieb Mathieu unter der mächtigen Weide stehen und sah über die Reie zum Weingarten. Der weitläufige Komplex der frommen Frauen lag still zwischen der Stadt und dem Minnewaterhafen. Hinter seinen geschlossenen Toren und Pforten behielt er seine Geheimnisse für sich. Der flackernde Schimmer einer Kerze im Pfarrhaus an der Weingartenbrücke bildete zu dieser Stunde die einzig sichtbare Verbindung zwischen Brügge und den Beginen. Der Umriss eines Mannes, der dort drüben am Fenster stand und gleich ihm in die Nacht hinausstarrte, wurde von diesem rötlichen Schein beleuchtet.
Einen Herzschlag lang empfand er eine Verbundenheit mit dem unbekannten Gottesmann. So als wären sie beide die einzig Achtsamen in einer beunruhigenden Nacht.
Jeder brave Bürger von Brügge lag um diese Zeit längst in seinem Alkoven oder auf seinem Strohsack. Die verriegelten Stadttore und die Wächter hoch oben auf dem Beifried garantierten ihm ungestörten Schlaf. Die Männer der Stadtwache ließen ihre Blicke von dort oben über das Häusermeer streifen, bereit, beim ersten Anzeichen von Gefahr Alarm zu geben. Wobei die Gefahren eher von Feuersbrünsten und Störenfrieden innerhalb der Mauern ausgingen denn von fremden Feinden. Die offiziell bestallten Ordnungshüter des Magistrats unterstützten sie in den Straßen der Stadt. Sie marschierten auf dem großen Platz vor dem Beifried auf und ab und hatten ein
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