Begraben
glauben Sie etwa … er kommt nicht wieder?«
Cyrille Blake lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
»Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich möchte Ihnen nur helfen, diese Situation so gut wie möglich zu meistern.«
Ja, Isabella DeLuza war genau die Richtige für ihre Meseratrol-Studie: gesund und willens, sich helfen zu lassen. Das neue Medikament könnte der Patientin von großem Nutzen sein. Sie stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und beugte sich zu ihr vor.
»Vielleicht kommt er zurück. Wir können es nicht wissen. Am besten begegnet man dieser Situation damit, sich so schnell wie möglich aus dem Zustand der Traurigkeit zu befreien. Wir führen eine Studie mit einem Medikament durch, das nach einem Erlebnis wie dem Ihren den seelischen Schmerz lindert. Sie könnten es ausprobieren.«
»Ich will keine Antidepressiva, Frau Doktor. Davon wird man abhängig, und sie verändern die Persönlichkeit.«
»Es handelt sich nicht um ein Antidepressivum, Madame, und es besteht nicht die geringste Gefahr der Abhängigkeit.«
Isabella DeLuza schniefte und zog ein Papiertaschentuch aus dem Karton, um sich Augen und Nase abzutupfen.
»Warum nicht … Wenn Sie sagen, dass ich dann weniger leide … warum nicht?«
5
20 Uhr 30
Benoît Blake, im maßgeschneiderten Smoking, hob sein Champagnerglas. Die zwölf Gäste, die um den Tisch des kleinen gemütlichen Salons im Restaurant La Pérouse saßen, verstummten.
»Liebe Freunde, vielen Dank, dass Sie mir die Ehre erwiesen haben, an diesem Essen teilzunehmen, das für mich sehr wichtig ist. Mein Dank gilt auch meiner zärtlichen und bildhübschen Frau für diese Überraschung – auch wenn man in meinem Alter seinen Geburtstag üblicherweise nicht mehr feiert.«
Alle lachten, und Benoît wandte sich zu Cyrille um, die in ihrem schulterfreien schwarzen Kleid wunderschön aussah. Ein Diamantanhänger zierte ihren Hals, dazu passende Ohrringe, das Haar war glatt zurückgekämmt.
»Das Jahr, in dem ich geboren wurde, möchte ich heute Abend aus Rücksicht auf meine noch so junge Frau verschweigen, da sie sonst bemerken könnte, dass die Jahre, die uns trennen, kein Graben, sondern ein Abgrund sind. (Gelächter.) Auf alle Fälle wurde ich nach Aussage meines Vaters auf dem Deck eines Luxusliners gezeugt. Dieses Geheimnis, das er nach einem alkoholreichen Abendessen preisgegeben hat, ist das Einzige, was er von diesem Mysterium enthüllen wollte. (Gelächter.) Und die Geschichte hat einen kleinen Tick bei mir hinterlassen, den ich heute Abend gerne gestehe: Jedes Mal, wenn ich den Fuß auf das Deck einer Jacht setze, habe ich das Gefühl, ein Sakrileg zu begehen!«
Anhaltender Applaus. Wie jedes Mal, wenn Benoît in der Öffentlichkeit sprach, bewunderte Cyrille seine Wortgewandtheit und Eloquenz … Der Große Mann mit seinem neuen Haarschnitt – und ein paar Kilo weniger – war in Hochform. Natürlich wurde er älter, doch seine Züge und seine Ringerstatur strahlten noch immer Kraft aus, und der intellektuelle Scharfsinn, der sie schon als Studentin fasziniert hatte, war ihm geblieben …
Sobald der Kongress in Bangkok vorüber und der Nobelpreis verliehen wäre – egal, ob an Benoît oder einen anderen –, würde sie mit ihrem Mann an einen Strand fahren, auf ein traumhaftes Atoll, wo es weder Telefon noch Internet gab. Cyrille leerte die Hälfte ihres Champagnerglases. Was für eine Tragödie! Sie war fünfundzwanzig Jahre jünger als ihr Mann und verlor das Gedächtnis.
In zwei Wochen würde das Karolinska Institut in Stockholm ihrem Mann vielleicht für seine Forschungsarbeit über »Neuronale Netzwerke und die Schmerzverarbeitung« den Nobelpreis für Medizin zuerkennen. Die Beratungen in Stockholm waren vermutlich das bestgehütete Geheimnis der Welt, es gab so gut wie nie eine undichte Stelle. Man konnte unmöglich mit Sicherheit vorhersagen, wer den Preis erhalten würde. Aber es gab bestimmte Indizien. Im September hatte das Karolinska Institut ein Biologie-Symposium abgehalten, zu dem nur wenige ausgewählte Persönlichkeiten eingeladen worden waren, unter anderem Benoît Blake und sein Rivale Tardieu. Es war allgemein bekannt, dass diese Versammlung ein Hinweis auf die Wahl war. Die Vorträge der Referenten kamen einer mündlichen Prüfung gleich, die dazu diente, den Sieger zu ermitteln.
Cyrille stellte sich vor, wie sie in nächster Zukunft den heiß ersehnten Anruf bekommen würden, und eine Erregung, leicht wie der
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