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Begraben

Begraben

Titel: Begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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Flügelschlag eines Schmetterlings, stieg in ihr auf. Benoît Blake hatte sich durch seine Arbeiten über die Auswirkungen eines psychischen Schocks auf das Neuronennetzwerk hervorgetan. Neben anderen wichtigen Ergebnissen hatte der Neurobiologe die antitraumatischen Eigenschaften einer neuen Klasse von Molekülen entdeckt. Ursprünglich waren diese zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt worden, doch man bemerkte schnell, dass das Medikament unerwartete Nebenwirkungen hatte. Nach einem psychischen Schock zeigten die Patienten eine deutliche Besserung ihres Allgemeinzustandes, schliefen ruhiger und litten weniger unter Angstzuständen. Benoît hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt.
    In den 1990er Jahren hatte er durch eine erste Testreihe an Mäusen nachgewiesen, dass Meseratrol die durch Schmerzzufügung traumatisierten Tiere beruhigte. Nach einigen weiteren Forschungsjahren und den ersten menschlichen Testpersonen hatte Blake versichert, diese Molekülklasse habe die Fähigkeit, die psychische Komponente eines traumatischen Erlebnisses aufzuheben. Cyrille, seine Assistentin, hatte sich der klinischen Erprobung zugewandt und setzte dieses revolutionäre Medikament nun tagtäglich ein.
    Sie betrachtete ihren Mann und lächelte. Sie war stolz auf ihn. Wenn sie ihn nicht geheiratet hätte, hätte sie vermutlich nie so viel erreicht. Sie trank ihren Champagner aus und studierte das Menü: Tatin au boudin noir (Blutwurst-Apfel-Pastete), Potage de Cresson et crème de potiron (Kressesüppchen mit Kürbiscreme), Selle d’agneau aux pommes caramélisées (Lammrücken mit karamellisierten Kartoffeln). Sie hatte seit dem Frühstück kaum etwas gegessen, und ihr knurrte der Magen. Ein Kellner kredenzte ihr einen alten Bordeaux, den sie mit Genuss probierte.
    Sie erinnerte sich noch genau an die Rede, die Benoît beim Antritt seiner Professur am Collège de France gehalten hatte. Sie hatte Bewunderung und zugleich Besorgnis empfunden. »Bist du zufrieden mit mir?«, hatte ihr Mann sie mit einem kleinen Lächeln gefragt. Und sie hatte ehrlich geantwortet: »Ab jetzt kann ich nur noch in deinem Schatten leben.« »Aber nein, du wirst hart arbeiten«, hatte er neckend zurückgegeben. Wie eine Besessene, jawohl . Und genau das hatte sie getan. Tag und Nacht geschuftet, um nicht zu weit hinter ihm zurückzubleiben. Wenn sie aus dem Schatten des Großen Mannes treten wollte, musste sie sich einen Namen machen.
    Als sie im Jahr 2000 Sainte-Félicité den Rücken kehrte, hatte sie die Medizin ganz aufgeben wollen. Doch Benoît, mit dem sie seit einem Jahr verheiratet war, hatte sie davon abgebracht. Er war damals gerade zu einer einjährigen Gastprofessur an die Universität von Berkeley eingeladen worden und hatte sie mitgenommen. Dort hatte Cyrille aufstrebende Neurowissenschaftler kennengelernt, die sich für ein Thema begeisterten, das in Frankreich den Philosophen vorbehalten war: das Streben nach Glück. Die junge Ärztin hatte sich sofort für diese Arbeiten interessiert, die ganz und gar mit ihren eigenen Ambitionen übereinstimmten. Endlich hatte sie Kollegen gefunden, die dieselbe Richtung verfolgten wie sie selbst und für die eine Behandlung mit Psychopharmaka nicht der einzige Weg war, psychische Leiden zu heilen, sondern die offen waren für andere Therapieformen.
    Benoît Blakes Geschäftssinn sorgte für den Rest. Er hatte sofort erfasst, welches Potenzial dieser Bereich bot. Und er hatte sich nicht getäuscht. In den USA gab es bereits mehrere polydisziplinäre Happiness-Center, die sich mit einem ganzheitlichen Ansatz um die Menschen kümmerten, um diese glücklicher zu machen. Und auch in Frankreich würde die Einrichtung eines solchen Zentrums Zukunft haben. Es war ihm ein Leichtes gewesen, Kontakt zu amerikanischen Pharmakonzernen aufzunehmen, um das Meseratrol-Patent an den Meistbietenden zu verkaufen.
    *
    Die Kerzen in den Silberleuchtern waren zu drei Viertel heruntergebrannt, und die Gäste wurden müde. Nachdem Kaffee und Konfekt gereicht worden waren, blieben sie noch ein Weilchen. Der Wein war hervorragend gewesen und der Ehrengast ausnehmend brillant. Benoît hatte den ganzen Abend mit Esprit und Geistesgegenwart geglänzt. Schließlich verließen die Gäste die behagliche Wärme des Salons, zogen ihre Mäntel an und traten hinaus in die kühle Nachtluft.
    Nachdem sie sich bedankt und von jedem Gast verabschiedet hatten, gingen die Blakes zu Benoîts Wagen, der in der Nähe des Quai des

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