Begraben
Grands-Augustins geparkt war. Benoît setzte sich ans Steuer und schaltete, da Cyrille fror, sofort die Heizung ein.
»Was für ein wundervoller Abend, mein Liebling. Wie kann ich dir nur danken?«
Der nagelneue metallicgraue Audi A6 fuhr an den Quais der Seine entlang, bog in die Rue des Saints-Pères und dann in die Rue de Sèvres ein.
»Wie dumm, dass du heute Abend Dienst hast …«, sagte Benoît leise.
Cyrille steckte die Ohrringe in ihre Handtasche und tauschte ihre Pumps gegen ein Paar Mokassins, die sie unter dem Beifahrersitz verstaut hatte.
»Ich weiß, und es tut mir auch leid, aber der Arzt, der eigentlich an der Reihe war, ist krank.«
»Du hast mir heute etliche Nachrichten hinterlassen. Was wolltest du mir sagen?«
Sie bogen in den Boulevard Raspail, dann rechts in die Rue de Rennes. Als sie schließlich den Boulevard de Vaugirard erreichten, fand Cyrille den Mut zu sprechen.
»Mir ist heute Morgen etwas sehr Eigenartiges widerfahren«, begann sie und berichtete ihm mit wenigen Worten von dem Patienten, den sie vergessen hatte.
Benoît konnte gerade noch das Steuer herumreißen, das Rad des Audi schleifte am Bordstein entlang. Er fluchte laut.
»Glaubst du, Ärzte würden sich an all ihre Patienten erinnern?«
»Das sagte Muriel auch. Aber es ist doch irgendwie eigenartig, oder?«
»Und das MRT hat nichts ergeben?«
»Nein.«
Cyrille beobachtete Benoît, der mit einem Mal verärgert wirkte. Ein paar Minuten später hielt der Wagen vor dem Zentrum in der Rue Dulac.
»Hör zu, vergiss diese Geschichte, wenn ich so sagen darf«, erklärte ihr Mann mit leicht spöttischem Unterton.
Er überlegte kurz.
»Und wenn dir dieser Patient zu schwierig erscheint, überweis ihn weiter. Das ist unsere Abmachung, erinnerst du dich? Du behandelst nur leichte psychische Probleme, alle anderen schickst du ins Krankenhaus.«
Cyrille nickte. Wenn sich ihr Mann, der dazu neigte, sich Sorgen zu machen, nicht weiter beunruhigte, dann gab es auch keinen Grund dazu. Sie seufzte erleichtert und nahm ihre Sachen.
»Schade, dass wir nicht früher darüber reden konnten, dann hätte ich mich nicht den ganzen Tag über geängstigt.«
Benoît streichelte ihre Wange.
»Geh nicht.«
»Ich muss«, antwortete Cyrille sanft.
»Warum?«
»Jemand, ich glaube, es war ein brillanter Professor, hat mir einmal gesagt, es gebe nichts Wichtigeres als die Mühe, die man sich bei seiner Arbeit gibt.«
Benoît warf ihr einen schmeichelnden Blick zu. Die Rosette der Ehrenlegion, die er am Revers trug, glänzte im Dämmerlicht.
»Aber dieser Professor sagt dir heute, dass er genug davon hat, jede zweite Nacht auf seine Frau verzichten zu müssen.«
»Es ist nur jede fünfte.«
»Und dass er gerne in den wenigen aktiven Jahren, die ihm noch bleiben, etwas von ihr haben möchte.«
Er beugte sich zu Cyrille und liebkoste ihre Schenkel unter dem schwarzen Kleid. Cyrille zwang sich, an Thierry Panis zu denken, den diensthabenden Arzt des Zentrums, der schon seit einer halben Stunde auf seine Ablösung im Schlaflabor wartete. Sie hasste es, zu spät zu kommen.
»Benoît, ich muss gehen, es tut mir wirklich leid. Das trifft sich schlecht heute Abend, verschieben wir es auf morgen, ja?«
Der Griff des Professors wurde beharrlicher.
»Komm, wir fahren nach Hause. Zum Teufel mit deinem Labor!«
»Benoît, bitte, ich bin die Chefin, ich muss zuverlässig sein.«
»Nur ein Mal! Heute ist mein Geburtstag!«
»Ja, ich weiß, Liebling, und es tut mir leid. In zwei Jahren habe ich die nötigen Mittel, um zwei Ärzte mehr einzustellen. Dann muss ich keine Nachtdienste mehr übernehmen, versprochen.«
Benoît seufzte und küsste ihren Hals. Cyrille stieß ein lustvolles Stöhnen aus.
»Bitte mach es mir doch nicht noch schwerer …«
Sie küssten sich lange, dann stieg Cyrille entschlossen aus. Plötzlich schien ihr Mann sich an etwas zu erinnern. Er suchte in seiner Jackentasche und zog einen USB-Stick heraus.
»Kannst du das heute Abend für mich erledigen?«, bat er charmant.
»Vielleicht habe ich zwischen drei und vier Uhr morgens einen Augenblick für dich«, antwortete sie und zwinkerte ihm zu.
Sie griff nach dem USB-Stick und warf ihm einen Kuss zu.
*
Thierry Panis lag mit offenem Mund in dem Relaxsessel im Überwachungsraum des Schlaflabors und schnarchte. Auch wenn es sich um eine sehr kleine Einrichtung handelte, war ein Schlaflabor unabdingbar für die Arbeit des Zentrums. Hinter Schlafstörungen und wiederholten
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